«Man muss wie mit der Lupe draufblicken»

In einer Eigenproduktion des Kurtheaters spielt Anna Grisebach in Suzie Millers «Prima Facie»: ein Stück, das global für Furore sorgt.
Anna Grisebach bringt ein weltweit diskutiertes Theaterstück nach Baden. (Bild: zvg | T+T Fotografie)

Anna Grisebach ist eine deutsche Schauspielerin und in der Region Baden keine Unbekannte. Unvergessen, wie sie in Julien Greens 2023 im Kur­theater Baden gezeigtem Stück «Süden» als 16-Jährige über die Bühne wirbelt und sich ungeachtet ihres luftigen Tüllrocks auf den Boden fallen lässt, träumerisch sinniert oder ihr Teenager-Gegenüber verständnislos anblickt, als dieses bekennt, dass es in Liebe entbrannt ist. Sie, das ist Angelina, die den Gefühlsstürmen der Pubertät ausgesetzt ist und von Anna Grisebach mit hinreissender Verve und Intensität gespielt wird – einmalig.

Als sie so alt gewesen sei wie diese Angelina, sagt Anna Grisebach, habe sie gewusst: «Ich will Schauspielerin werden.» Damals, fügt sie lächelnd hinzu, habe sie sogar eine kleine Punkphase gehabt, was das Titelblatt einer «Geo spezial»-Ausgabe belegt, die 1985 – noch vor dem Mauerfall – erstmals West- und Ostberlin in einem Heft thematisiert hat. Einen Teenager habe man damals gesucht – und ihn mit raspelkurzen Haaren auch gefunden. Auf dem Titelblatt lacht die junge Anna Grisebach, und zwar so, dass man liebend gern in den Satz «Mir kann keener» einstimmen möchte.

Dass danach eine Casterin mit einem Filmangebot kam, ist nur die eine Wegmarke einer Laufbahn, die Anna Grisebach zunächst – da aus einem vorwiegend der bildenden Kunst verbundenen Elternhaus stammend – nicht vorgezeichnet schien. Die darstellende Kunst obsiegte, wollte aber gelernt sein, weshalb die in Berlin aufgewachsene Anna Grisebach ihre Schauspielausbildung an der Bayerischen Theaterakademie absolvierte. Danach folgten Engagements an renommierten Theatern, so mitunter am Theater Neumarkt Zürich: für Anna Grisebach «ein geschützter Raum, in dem vieles möglich war». Ab 2006 war sie als freie Schauspielerin unter anderem am Berliner Maxim-Gorki-Theater und am Schauspielhaus Bochum sowie in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen zu sehen. Krimifreunde sollten sich den 16. Januar 2025 vormerken. Dann ist Anna Grisebach «in einer prägnanten Rolle» in «Nord bei Nordwest: Das Nolden Haus» zu sehen (ARD).

Sie ringt um jedes Wort
Alles andere als ein Krimi ist «Prima Facie» der australischen Rechtsanwältin und Autorin Suzie Miller. Auf Einladung von Uwe Heinrichs, dem künstlerischen Direktor des Kurtheaters, spielt Anna Grisebach dieses aufrüttelnde Monodrama, das derzeit global für Diskussionen sorgt. Kein Wunder, geht es hierin doch um die brillante Strafverteidigerin Tessa Ensler, die Vergewaltiger vor Gericht verteidigt und für deren Freispruch sorgt. Aber dann wird sie selbst vergewaltigt und erfährt, was es heisst, als Opfer im Zeugenstand zu stehen, Momente der Traumatisierung zu erleben und ein Kreuzverhör durchzumachen.

Anna Grisebach charakterisiert Tessa so: «Zu Beginn ist sie ehrgeizig und ein sehr lebendiger Mensch. Sie sieht ihre Arbeit ganz pragmatisch. Man kann das mit einer Taxischlange vergleichen: Ein Fall kommt nach dem anderen.» Später wandelt sich das Bild, und nicht umsonst erwähnt Anna Grisebach den Satz einer Juristin: «Als Verteidigerin muss ich immer die Lücke in der Anklage finden.» Was das heisst, erfährt Tessa als Opfer schmerzlich selbst.

Auf Millers Monodrama müsse man «wie mit der Lupe draufblicken», sagt Anna Grisebach und betont dessen Wichtigkeit – für alle. «Es wäre toll, wenn dieses Stück an einem Abend in sämtlichen Theatern gespielt würde.» In der Schweiz ist «Prima Facie» neben Baden zudem in Luzern und Zürich zu sehen. «Vergleichen soll man», so Anna Grisebach, «aber nicht so, wie man das üblicherweise tut – als Vergleich der Schauspielerinnen. Stattdessen sollte es ein Vergleich der Erlebnisse sein.» In Baden findet die Inszenierung von Regisseur Klaus Hemmerle, die mit wenigen Requisiten aufwartet, im nur 50 Menschen Platz bietenden Proberaum statt. Dieser ermöglicht Anna Grisebach «nicht nur eine ganz nahe Begegnung mit dem Publikum, sondern auch mit mir selbst. Ich habe das Gefühl, wieder an der Urwurzel des Theaters zu sein.»

Derzeit wird stundenlang geprobt, um das schwierige und schwer verdauliche Stück packend zu gestalten. Sie ringe um jedes Wort, bekennt Anna Grisebach, denn «die Rolle der Tessa ist schliesslich eine Begegnung mit einem Menschen. Und das hat auch mit mir zu tun.» Als das Gegenüber ihr sagt, dass es gehörigen Respekt vor diesem Stück habe, sagt Anna Grisebach: «Wir stehen das gemeinsam durch.» Im Dezember und im kommenden Mai ist Anna Grisebach in «Prima Facie» im Kurtheater in Baden zu sehen.