Blick in den Rückspiegel liegt im Trend

Schon früher setzten die Auto-Designer Retro-Elemente ein. Doch gerade für neue Elektroautos ist dieses Stilmittel gross in Mode.
Fiat setzte 2007 bei der Neuauflage des kultigen Cinquecento voll auf Retro-Charm – mit grossem Erfolg. (Bilder: zVg)

Neu ist Retro-Design in der Automobilwelt keineswegs. Bereits in den 1960er-Jahren bezogen sich die Auto-Designer auf Modelle früherer Epochen, indem sie mit einzelnen Elementen alte Modelle zitierten. 1994 wurde diesbezüglich aber etwas Neues erschaffen: VW stellte an der Detroit Motor Show die Studie mit dem schlichten Namen Concept One vor – und startete damit eine regelrechte Retro-Welle in der Autoindustrie. Die Studie, die lediglich ein Konzeptauto für alternative Antriebssysteme darstellen sollte, wurde im Stil des klassischen Käfers in einer modernen Interpretation gezeichnet. Das Echo war so euphorisch, dass VW nur wenig später den New Beetle als Serienmodell lancierte und damit einen nachhaltigen Trend auslöste. 

Viele Hersteller liessen sich von diesem direkten Bezug auf ein historisches Modell inspirieren. BMW lancierte nach der Übernahme der Marke Mini 2001 eine moderne Neuauflage des britischen Kleinwagens im Retro-Stil – und auch hier war die Resonanz überwältigend. Ford wählte für die Wiederauferstehung des legendären Mustang im Jahr 2004 die gleiche Strategie. Nach Jahrzehnten der Design-Irrfahrt schlug der neue Mustang im Retro-Look ein wie eine Bombe. Auf den gleichen Zug sprang der ewige Rivale General Motors auf und legte mit dem Dodge Challenger (2008) sowie dem Chevrolet Camaro (2009) seine berühmten Muscle Cars ebenfalls im hinreissenden Retro-Look neu auf. 

Auch Fiat setzte 2007 für das Revival des winzigen Cinquecento von 1957 auf unwiderstehlichen Retro-Charme – und auch dieses Modell war ein gewaltiger Erfolg: Die Neuauflage verkaufte sich über 16 Jahre lang in fast unveränderter Form weltweit über 3,2 Millionen Mal. «Retro-Modelle haben dann Aussicht auf Erfolg, wenn die zentralen Identitäten der Modell-Historie glaubwürdig in die Gegenwart transformiert werden», analysierte damals Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft. 

Kein Erfolgsgarant
In den Nullerjahren war die Retro-Welle im Autodesign auf einem ersten Höhepunkt. Das brachte nicht nur erfolgreiche Modelle mit sich wie die eben erwähnten, sondern auch zahlreiche Flops, sodass sich «Auto-Papst» Ferdinand Dudenhöffer zu der Aussage hinreissen liess: «Typisch für Retro ist, dass kurzzeitig ein Verkaufs-Hype erreicht wird, der anschliessend relativ schnell wieder zusammenfällt.» 

Tatsächlich gab es zahlreiche Beispiele, die kurz auf der Retro-Welle gesurft und bald darauf abgestürzt sind. Allen voran das kuriose Dreiergespann Chrysler PT Cruiser, Chevrolet HHR und Plymouth Prowler: Diese drei wollten Modelle aus den 1920ern bis 1940ern zitieren, die in den USA gerne als Basis für kühne Hot-Rod-Umbauten genommen werden – mit sehr dürftigem Erfolg. Noch einen Schritt weiter ging Ford 2002 mit dem Revival des Thunderbird: Die Neuauflage im Retro-Look sollte nicht nur die Design-Sprache, sondern auch die langgezogene Karosserieform der 1950er Jahre neu interpretieren. Drei Jahre später wurde das Modell eingestellt. 

«Retro-Formen allein sind ein Irrweg», brachte es damals der 2008 in den Ruhestand getretene Auto-Designer Peter Pfeiffer auf den Punkt. «Es geht darum, eine zeitgemässe Nachfolge zu gestalten.» Pfeiffer zeichnete von 1999 bis 2008 für das Design von Mercedes-Benz und damit auch für die Gestaltung des Supersportwagens SLS AMG verantwortlich, welcher die Formgebung des Flügeltürers 300 SL von 1954 gekonnt in die Neuzeit brachte. Ähnliches gelang dem amerikanischen Designer Todd Willing, der 2017 den Ford GT von 2004 neu aufleben liess, der wiederum eine Hommage an den legendären Rennwagen und Le-Mans-Sieger GT 40 von 1964 war. 

Auch die Hersteller von Offroad-Modellen setzen gern auf den Glanz vergangener Tage. Toyota hat die neueste Generation des Land Cruiser üppig mit Design-Zitaten aus der Vergangenheit gespickt, wie die Japaner es bereits 2006 beim FJ Cruiser taten, der den FJ40 von 1960 in neuer Form aufleben liess. Ford hat den hemdsärmeligen Bronco aus der Versenkung geholt und dem Revival eine ordentliche Portion Retro-Charme mit auf den Weg gegeben. Und obwohl die eingefleischte Fan-Gemeinde des Land Rover Defender nur wenig mit der modernen Neuauflage von 2020 anfangen kann, zeigen sich in der Gestaltung deutliche Gemeinsamkeiten.

Der elektrische VW ID.Buzz zitiert den berühmten Bulli von 1950.

Appetitanreger für Elektro­skeptiker
Mit der Einführung der Elektromobilität ist der Retro-Look wieder so angesagt wie in den Nullerjahren – mindestens. Viele Hersteller sehen in dieser emotionalen Verknüpfung eine gute Chance, die Kunden für die neue Antriebsform begeistern zu können. Honda machte es mit dem Honda e vor, der in charmanter Art und Weise den ersten Civic von 1972 zitierte; dass der Erfolg dieses Modells ausblieb, lag bestimmt nicht am Design. Auch Hyundai huldigte mit dem Ioniq 5 einem Kleinwagen aus den 1970ern, allerdings ist der Pony hierzulande kein grosser Begriff. 

Wesentlich bekannter ist der VW «Bulli» – und diesen verwenden die Wolfsburger nun als Appetitanreger für Elektroskeptiker. Der ID.Buzz ist eine gekonnte Hommage an den T1 von 1950 und damit an ein Auto, das einfach jeder mag. In die gleiche Kerbe schlägt Renault mit der grandiosen Neuauflage des R5: Der elektrische Kleinwagen ist die perfekte Neuinterpretation des «Supercinq» von 1984 – das ist Retro-Design meisterhaft in Szene gesetzt. Doch damit nicht genug, die Franzosen werden mit dem Revival des Renault 4 und der Neuauflage des elektrischen Twingo weiter auf der Retro-Welle reiten. Und auch Fiat wird nach dem Erfolg des 500 weiter diese Karte spielen, wie der Grande Panda zeigt. 

Vorteil gegenüber der neuen Konkurrenz
Dass in Zukunft noch weitere Elektro-Modelle im Retro-Look kommen werden, deuten mehrere Studien an. Renault stellte kürzlich eine Hommage an den R17 als Concept Car vor. DS hat sich mit einer futuristischen Version des Citroën SM versucht. Opel präsentierte bereits vor Jahren einen elektrischen Manta im Retro-Look. Peugeot hat mit dem e-Legend das von Pininfarina gezeichnete 504 Coupé zitiert. Suzuki liess mit der Studie Waku SPO 2019 den Fronte 360 von 1967 als Elektroauto aufleben. 

Auch BMW bedient sich beim Design der Neuen Klasse, die bei den Bayern ab 2025 eine Reihe neuer Elektroautos hervorbringen wird, bei einem legendären Modell – zumindest bei der Limousine im Format eines 3ers, die als Studie in den Grundzügen eine Neuinterpretation des legendären 2002 von 1968 darstellt. Das hat neben der bereits erwähnten emotionalen Verknüpfung noch einen anderen Grund, wie Designchef Damagoj Dukec erläutert. Im Angesicht der neuen Konkurrenz aus China im Elektrobereich würden sich die etablierten Hersteller aus der «alten» Autowelt gern auf ihre Markengeschichte besinnen, denn: «Was uns von all diesen Marken unterscheidet, das ist unsere Heritage, unsere Tradition, unsere Geschichte.» Durch gekonntes Retro-Design kann diese wieder neu aufleben. 

Die Neuauflage des Renault 5 wirft dank Retro-Design hohe Wellen.