Warum fehlt das Geld für faire Löhne?

Die Angestellten in den Kantonsspitälern sind verärgert, weil sie keinen Teuerungsausgleich bekommen haben. Eine Erklärung der Hintergründe.
Starre, unzureichende Fallpauschalen sind nicht nur im Kantonsspital Baden ein Problem. (Bild: zVg)

«Manchmal dachte ich, dass meine Mutter das Spital nicht mehr verlässt», sagt die Tochter von Leonore Buck (Name geändert). Die 78-jährige Patientin ist inzwischen wieder gesund. Das Kantonsspital Baden (KSB), wo Leonore Buck behandelt wurde, krankt dagegen schon eine Weile an mangelnder Finanzierung. Die Angestellten mussten eine Lohnnullrunde schlucken, obwohl akuter Fachkräftemangel herrscht. Ähnlich präsentiert sich die Situation am Kantonsspital Aarau (KSA). Anhand von Leonore Bucks Beispiel lässt sich aufzeigen, warum das Geld fehlt.

Starres Kostenkorsett
Eines Tages stürzt die Betagte und zieht sich mehrere Rippenbrüche zu. Via Notfall tritt sie ins KSB ein. Dort legt man der Patientin eine Drainage, um Flüssigkeit abzuleiten, die sich in Lungennähe angesammelt hat, später wird sie operiert. Von der Operation erholt sie sich ausgezeichnet. Aber Leonore Buck erleidet im Spital wiederholt Epilepsie-ähnliche Anfälle, bei denen sie ohnmächtig wird. Auf der Suche nach der Ursache führt das KSB fünf verschiedene Untersuchungen durch. Weil die Anfälle Sturzgefahr bergen und die Patientin zeitweise verwirrt ist, wird eine Sitzwache aufgeboten: eine Person, die im Zimmer bleibt, helfen und Alarm schlagen kann. Nach gut zwei Wochen wird Leonore Buck entlassen. Drei Monate später wird sie noch einmal ambulant untersucht.

Was für die Behandlung und die Betreuung von Leonore Buck nötig war, kann das Spital nicht vollumfänglich abrechnen, sondern über Fallpauschalen. Für eine erbrachte Leistung erhält das KSB einen fixen Betrag, mit dem Lohn-, Material- und Betriebskosten gedeckt sein sollten. Komplexe Fälle wie jener von Leonore Buck sprengen aber diesen Kostenrahmen: Wenn Ärzte eine Extrasitzung zur Besprechung abhalten oder eine Sitzwache nötig ist, kann dieser Aufwand nirgends geltend gemacht werden. Aus ähnlichen Gründen ist die Pädia­trie unterfinanziert: Obwohl man sich im Umgang mit Kindern oft mehr Zeit nehmen muss, sind die meisten Fallpauschalen nicht höher als bei Erwachsenen. Noch gravierender: Die Abrechnungstarife sind starr, die tatsächlichen Kosten aber steigen, etwa aufgrund der Teuerung und hoher Strompreise. Laut Spitalverband H+ decken die aktuellen Fallpauschalen im Schnitt nur 90 Prozent der realen Kosten bei stationären Leistungen und gar nur 70 Prozent bei ambulanten. Bei der Behandlung von Leonore Buck hat das KSB also wahrscheinlich «draufgelegt».

Ungleich lange Spiesse
Die Fallpauschalen werden zwischen Spitälern, Ärzteverband, Sozialversicherern und Krankenkassen ausgehandelt. Während sich die Gesundheitsversorger eine ausreichende Vergütung wünschen, ist die Gegenseite an tiefen Tarifen interessiert. «Die Krankenkassen sind dabei am längeren Hebel», sagt Lucia Engeli, SP-Grossrätin und Ärztin für innere Medizin. «Sie können die Bezahlung von bestimmten Leistungen verweigern, werden aber nicht für die Folgen haftbar gemacht.» In den Tarifverhandlungen seien sie hoch professionell aufgestellt; sie könnten mehr Ressourcen in die Vorbereitung stecken als die anderen beteiligten Akteure. Für die Macht der Krankenkassen sprechen auch die dort ausbezahlten Löhne: Laut «Beobachter» bezogen die CEO von sieben der zehn grössten Krankenversicherer 2023 je über 700 000 Franken – mehr als die bestbezahlten Kaderärzte an den Aargauer Kantonsspitälern.

Überlastung mit Langzeitfolgen
Die chronische Unterfinanzierung versuchen die Spitäler aufzufangen, indem sie die Effizienz steigern und Lohnerhöhungen vermeiden. «In diesem personalintensiven Geschäft sind die Gehälter der grösste Kostenblock», so Engeli. «Hier zeigt sich der politisch gewollte Spardruck am deutlichsten.» Die Löhne müssten bei Fachkräftemangel steigen, weil die Leute begehrt seien. «Dafür haben die Spitäler aber keinen finanziellen Spielraum.» Hier könnte der Kanton Gegensteuer geben: Denn für die Finanzierung von Angeboten, die nicht – oder nicht ausreichend – von der Grundversicherung gedeckt sind, ist dieser zuständig. Beispiele sind die Notrufzentrale, die Intensivstation oder die Arztausbildung. Auch hier ist das Geld knapp. Laut einer Studie, die Zahlen von 2020 auswertete, leistete der Aargau massiv tiefere Finanzierungsbeiträge als andere Kantone. Inzwischen wurden diese mehrfach aufgestockt, doch die Spitäler fürchten, dass es trotzdem nicht reicht.

An der Front verausgabt sich derweil das Personal. Als noch keine Sitzwache in Leonore Bucks Zimmer war, wurde der sturzgefährdeten Patientin eingeschärft, zu klingeln, bevor sie aus dem Bett steige, dann werde sie begleitet. «Als ich einmal trotzdem allein aufs WC bin, weil es eilte, verlor der Pfleger die Nerven und schimpfte ziemlich», sagt die 78-Jährige. Zu Leonore Bucks Tochter wird der Pflegefachmann später sagen, an diesem Tag sei er für 23 Patienten verantwortlich gewesen, unterstützt nur durch Angestellte ohne medizinische Vollausbildung. «So eine Belastung ist das tägliche Brot in den Spitälern», sagt Lucia ­Engeli. «So brennen die Leute früher oder später aus.»