«Man wird sofort zurückkatapultiert»

Sina liess sich zum 30-Jahr-Bühnenjubiläum vom Publikum eine Wunschliste zusammenstellen. Die sympathische Walliserin blickt zurück. Sina geht mit ihrem Programm «Bescht of 30 Jahr» auf Tournee und macht halt in Brugg.
Sina hat einige ihrer alten Lieder dank der Wunschliste der Fans für sich wiederentdeckt. (Bild: zVg Pat Wettstein)

Sina, Sie haben vorletzte Woche Ihr Livealbum «Bescht of 30 Jahr» mit einem Mitschnitt aus der Mühle Hunziken veröffentlicht. Nun gehen Sie mit Ihren alten und etwas weniger alten Songs auf Tournee. Wie fühlen Sie sich dabei – wieder jung oder doch eher alt?

Ich fühle mich einfach in eine andere Zeit, in eine andere Realität und in ein anderes Leben zurückversetzt. Beim Singen dieser Lieder passiert mir das Gleiche wie allen, die Songs aus einer vergangenen Zeit hören. Man hat so viele Erfahrungen gemacht und so viele Kilometer zurückgelegt im Leben. Dann kommt ein Song, und man wird sofort wieder zurückkatapultiert. In dem Moment ist alles wieder da, es holt mich ein – die Leute, mit denen ich an der Musik arbeitete, der Inhalt, der für mich in einem gewissen Lebensabschnitt eine besondere Bedeutung hatte, das Gefühl, das ich mit einem Lied verband. Dieses Erlebnis will ich mit den Fans teilen – mit den Liedern, die ihnen in den vergangenen 30 Jahren etwas bedeutet haben.

Ein Teil der Lieder stammt aus einer Zeit, in der Sie als Mensch an einem ganz anderen Punkt standen. Wie fühlt es sich an, wenn Sie 30 Jahre alte Texte singen, die Sie heute nicht mehr so schreiben würden? Entfremden Sie sich für einen Moment von sich selbst?
Eine gute Frage. Ich bibberte schon ein bisschen, was an Vorschlägen zurückkommen würde, als ich das Publikum die Liste zusammentragen liess. Es waren ja rund 250 Lieder aus 14 Alben, die ich in die Runde gab. Natürlich waren Lieder dabei, zu denen ich heute nicht mehr in gleichem Mass stehen könnte wie früher, zum Beispiel «Unbeschriiblich wiiblich» aus den Anfangszeiten. Diese Nummer könnte ich heute aus der Sicht einer reifen Frau nicht mehr singen. Ich konnte aber sowieso nicht alle Vorschläge berücksichtigen. So kamen die Top 20 auf die Liste – und es war kein Song dabei, der mir unangenehm wäre. Dafür entdeckte ich gewisse Lieder für mich wieder. Lieder, die sich über die Jahre irgendwohin verkrochen hatten und jetzt wieder an die Oberfläche kamen.

Zum Beispiel?
Nummern aus den Anfängen, die nie eine Single waren und die ich auch live nicht oft gespielt hatte. Ein gutes Beispiel ist «Wiä Sammat und Siidu». Es ist ein Lied, das ich schrieb, als ich beim damaligen Radio DRS arbeitete und nachts eine Sendung moderierte. Ich bekam einmal einen Brief, in dem ein Hörer beschrieb, wie er jedes Mal, wenn ich nachts auf Sendung war, sich auf sein Lieblingssofa setzte, eine Flasche Wein öffnete und meiner Stimme zuhörte. Das berührte mich, zumal ich damals noch unbekannt war – Ursula Bellwald und nicht Sina. Dass dieses Lied nun auf der Wunschliste auftauchte, überraschte mich. Auch bei diesem Lied fühlte ich mich beim Proben in die Zeit zurückversetzt, in das Radiostudio, in dem ich die Nachtsendungen damals moderierte.

Die bekanntesten Lieder auf der Liste wie «Där Sohn vom Pfarrer» dürften dagegen keine Über­raschung gewesen sein.
Nein, wenn «Där Sohn vom Pfarrer» nicht auf der Liste erschienen wäre, hätte mit der Abstimmung wohl etwas nicht gestimmt. (Lacht.)

Sind Sie es nicht leid, dieses Lied Jahr für Jahr, Abend für Abend zu singen?
Ich singe diesen Song tatsächlich nach wie vor gern. Und «Där Sohn vom Pfarrer» ist nun mal eine meiner wichtigsten Nummern. Damit er mir nicht verleidet und blutleer wird, habe ich den Song mit den Jahren jedoch immer wieder moduliert und neu arrangiert. Unterdessen sind wir mit der Band wieder ziemlich nah bei der ursprünglichen Version angelangt. Der Kreis schliesst sich also.

Sie feiern mit dem aktuellen Programm die letzten 30 Jahre Ihrer Karriere, sind aber eigentlich schon viel länger dabei. Können Sie sich an den allerersten Song erinnern, den Sie geschrieben haben?
Sehr gut sogar. Meinen ersten richtigen Song mit Text schrieb ich mit 15, als ich zum Schulabschluss meiner Klasse ein Lied verfassen und es an einem Fest vortragen durfte. Es hiess «Schüälschluss» und war bereits auf Walliserdeutsch. Zwei Jahre später gewann ich mit «The House of the Rising Sun» von den Animals einen Nachwuchswettbewerb und durfte danach am kleinen «Prix Walo» auftreten. Dort sang ich zwei Lieder: meinen Siegersong und eben diesen Song über das Ende der Schulzeit.

Tauchte «Schüälschluss» auf der ­aktuellen Wunschliste der Fans auf?
Dieses Lied habe ich nie veröffentlicht. Ich glaube, es gibt eine frühe Version auf Kassette, deren Band sicher schon am «Lödelu» ist.

Dieses Lied ist auf Walliserdeutsch, ansonsten kamen Sie aber erst über Umwege zur Mundart. Sie nahmen 1990 ein Schlageralbum auf Hochdeutsch auf, sangen danach auf Französisch und Englisch. Wie kam es zum Walliserdeutsch.
Zehn Jahre lang, zwischen 17 und 27, war ich auf der Suche nach meinem Sound, meiner Stimme. Das Schlageralbum war ein Werk, auf dem Lieder für mich geschrieben und ­arrangiert wurden. Ich war nur die Interpretin. Das funktionierte schlecht für mich, und mit der Zeit wurde mir klar: Ich wollte nicht mehr auf der Bühne stehen und etwas singen, das ich nicht wirklich spürte. Als ich schliesslich beschloss, meine eigenen Lieder auf Walliserdeutsch zu schreiben, befand ich mich bereits an einem Scheideweg. Ich hatte das Gefühl: Entweder es klappt oder meine Karriere als Musikerin ist hier zu Ende. Es war meine letzte Chance.

Sie standen kurz davor, Ihre Karriere an den Nagel zu hängen, dann war Ihr erstes Mundartalbum sehr erfolgreich. Seither befinden Sie sich an der Spitze des Genres, Ihre Karriere ist ein Selbstläufer. Woran liegt das?
Das frage ich mich auch immer wieder. Ich weiss es nicht, ich kann nur sagen, dass die Musik für mich nie Mittel zum Zweck war, um auf einer grossen Bühne zu stehen und berühmt zu werden. Es geht um Leidenschaft. Und Mitte der 90er-Jahre war sicher ein idealer Zeitpunkt, um mit meinen Mundartliedern auf Walliserdeutsch durchzustarten. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, da die Mundart stark am Aufkommen war.

Sinas neues Album ist ein Rückblick auf die letzten Jahrzehnte. (Bild: zVg Pat Wettstein)

Welche Rolle spielt das Walliserdeutsch? Der Dialekt wird allgemein als sehr sympathisch wahr­genommen.
Es gibt auch Leute, die das Walliserdeutsch schrecklich finden. Aber in Mundart zu singen, hat einen grossen Vorteil. Die Leute verstehen die Texte und Refrains, die sie mitsingen können.

Sie sind immer noch die einzige wirklich erfolgreiche Sängerin, die auf Walliserdeutsch singt.
Das könnte sich aber bald ändern, eine junge Walliser Künstlerin namens Melina Nora ist in den Start­löchern. Sie singt auf Walliserdeutsch, stammt aus Salgesch, wohnt in Zug und wird auf meiner Tournee im Vorprogramm auftreten. Ich finde sie wunderbar.

Sie werden ständig auf Ihren Dialekt angesprochen. Geht Ihnen das gelegentlich auf die Nerven?
Nein, denn mein Erfolg ist nicht einzig auf den Dialekt zurückzuführen. Er ist ein Teil des Ganzen.

Sie wohnen nicht im Wallis, sondern seit 20 Jahren im Aargau am Hall-wiler­see. Wie fühlt sich das an?
Ich geniesse es und habe unterdessen zwei Heimaten. Mit meinem Mann an einem See im Aargau zu leben, ist eine extreme Lebensqualität für mich. Im Innern bin ich aber weiterhin Walliserin. Und den Dialekt habe ich ja auch nicht verlernt.

Sie blicken mit der aktuellen Tournee auf die letzten 30 Jahre Ihrer Karriere zurück und werden im nächsten Jahr 60. Was haben Sie für Pläne?
Ich werde in letzter Zeit wiederholt auf mein Alter angesprochen, nur warum sollte ich wegen einer Zahl mit der Musik aufhören? Sie ist mein Beruf und meine Leidenschaft, und solang meine Stimme und mein Körper mitmachen, werde ich auf der Bühne stehen.

Die Stimmbänder sind ja ein Muskel, der sich mit dem Alter verändert … ​
… und den man deshalb trainieren muss. Viele Menschen sind sich dessen nicht bewusst. Wenn ich alternde Stars auf der Bühne sehe, die ihre Stimme nicht mehr führen können und sich irgendwie durch ihr Programm mogeln, schäme ich mich fremd. Auch ich muss meine Stimme heute viel mehr trainieren als noch vor 15 Jahren. Und wenn sie irgendwann in der Zukunft nicht mehr hält, werde ich auf keiner Bühne mehr ­stehen. Das werde ich mir und dem Publikum nicht antun.

Noch ist es aber längst nicht so weit. Stehen konkrete Projekte an?
Zuerst bin ich bis im Sommer mit dem «Bescht of 30 Jahr»-Programm auf Tour. Dann bin ich für ein paar Konzerte Gast beim Musiker Trummer. Ausserdem werde ich die Musik für einen Schweizer Film schreiben, sobald dessen Finanzierung zustande kommt. Es wäre das erste Mal, dass ich eine ganze Filmmusik schreibe, nachdem ich schon einzelne Songs zu Filmen beigesteuert habe. Und dann gibt es ein ganz spezielles Projekt, das aber noch nicht spruchreif ist.

Samstag, 22. März, 20 Uhr
Salzhaus, Brugg