Brugggore lädt zur fünften Ausgabe

Das Brugger Filmfestival Brugggore feiert in diesem Jahr ein kleines Jubiläum. Im Interview blickt Festivalleiter Michel Frutig zurück.
Festivalleiter Michel Frutig. (Bild: Mike Enichtmayer)

Michel Frutig, was ist Ihr Lieblings-«Scary Movie»?
Ich gebe es offen zu: ich habe keinen. Allein wegen der ganzen Subgenres hat man eine so grosse Auswahl.

Und im diesjährigen Programm?
«Parasite» und «Fright Night» aus der Retrospektive. Letzterer wird dieses Jahr 40 Jahre alt. Und «Parasite» ist der erste Film von Demi Moore, wir zeigen ihn in 3-D mit Old-School-Papierbrillen.

Warum gruseln wir uns so gern?
Der Mensch ist vielleicht etwas gelangweilt und benötigt einen Kick, den man sonst nur auf der Achterbahn bekommt. Das Kino bietet die Möglichkeit, Angst in einem geschützten Raum zu haben. Hier können die Panik und die Energie, die aus Schockmomenten entstehen, in einem Lacher enden.

Ist das Erlebnis besser im Kino zusammen mit anderen Leuten?
Deutlich besser, finde ich.

Es ist die fünfte Ausgabe des Filmfestivals Brugggore. Zeit für einen Rückblick?
Das Fazit ist überwältigend. Man ist stolz auf das Geleistete und das Wachstum. Wir haben jetzt allerdings einen Punkt erreicht, wo man sich fragen muss, wie es weitergeht. Denn das Volumen übersteigt langsam die Freiwilligenarbeit unseres Teams.

Sie arbeiten alle unbezahlt?
Wir wollen die beiden Kulturbetriebe bezahlen, aber selbst diese leisten zum Teil Freiwilligenarbeit. Der Rest des Organisationskomitees macht es wirklich unentgeltlich.

Wann fängt die Vorbereitung für das nächste Festival an?
Effektiv läuft sie schon. Es gibt Förderstellen, die nur einen Abgabetermin im Jahr haben. Ende August, Anfang September startet dann die Filmauswahl.

Funktioniert das Finanzkonzept noch?
Bereits unsere erste Ausgabe wurde von Swisslos subventioniert, und auch Pro Argovia hat uns unterstützt. Seitdem sind andere Fördergelder hinzugekommen, hier gibt es ein konstantes Wachstum.

Was hatte man damals für Erwartungen?
Persönlich keine. Unser Lieblingsfestival, das Neuchâtel International Fantastic Film Festival (Nifff), fiel damals aufgrund von Corona aus, und in diesem Moment haben wir gemerkt, dass es in der Schweiz nur dieses eine Festival für Horrorfans gibt. Zudem ist das Nifff in der Deutschschweiz gar nicht so präsent, wie man denkt. Daraus entstand die Idee, selbst etwas zu machen.
Bei der ersten Ausgabe durften wir nur 50 Leute ins Kino lassen, aber das Festival stiess auf grossen Anklang, und wir haben gemerkt: Das Bedürfnis ist da.

Ist das Nifff ein Vorbild?
Das Nifff ist für mich ganz klar das Vorbild. Selbst wenn ich es heute thematisch zu breit finde. Wir wollen die Horrorfans abholen, die das Nifff in seinen Anfangstagen angesprochen hat.

Spricht man sich vielleicht sogar untereinander ab?
Wir würden uns gern absprechen, aber ihre Eingabefrist dauert bis Ende April, und damit kommen wir uns sogar etwas in die Quere. Die Situation ist derzeit nicht optimal.

Ein neuer Festivaltermin wäre also nötig?
Es brauchte eigentlich zwingend einen, auch aufgrund der grossen Filmfestivals und der Verleihrechte. Der Spätsommer oder der Herbst wäre besser, aber das ist natürlich ebenso der Hotspot für alle anderen Festivals.

Ist es eine Herausforderung, Kultur in Brugg zu machen?
Das ist überall eine Herausforderung. Aber Brugg hat seine eigenen Herausforderungen. Bisher gab es hier keine kulturverantwortliche Ansprechperson, das ist jetzt am Entstehen. Aber schon bei der ersten Eingabe gab es positives Feedback, selbst wenn nicht alle am Anfang begeistert waren.
Hingegen haben wir mit der Hotellerie ein Luxusproblem. Und bei der Kapazität können wir mit zwei Kinos und 180 Plätzen an eine Grenze kommen. Die Zuschauerzahlen sind letztlich wichtig, um an Premieren zu kommen.

Wie lockt man das Zielpublikum an?
Wir haben eine äusserst treue Fanbase. Horrorfans gehören zu den wenigen, die noch DVDs und Blu-ray-Discs kaufen, die immer noch regelmässig ins Kino gehen und die Festivals besuchen. Tatsächlich machen müssen wir es aber über das Programm, das überzeugen muss.

Wie findet man den richtigen Mix zwischen Premieren, Klassikern und Sondervorstellungen?
Bei der Filmauswahl haben wir bestimmte Bereiche innerhalb der Genres definiert, um so ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Bei Neuerscheinungen ist man darauf angewiesen, was verfügbar ist. Wir möchten Filme, die noch nicht überall liefen oder bereits im Streaming verfügbar sind. Das ist eine Herausforderung, wenn wir uns im November und Dezember in der heissen Phase der Festivalplanung befinden.

Keine leichte Aufgabe angesichts der stets kürzeren Zeiträume zwischen Kino und Streaming.
Hier ist es schwer nachzuvollziehen, was die Filmverleiher antreibt. Auch dieses Jahr haben wir mit ­«Locked» einen Film auf Blockbusterniveau mit Anthony Hopkins und Bill Skarsgård – noch ohne Schweizer ­Kinostart.

In den Schweizer Kinos laufen ­Horrorfilme oft nur noch in der ­Synchronfassung.
Statistisch gesehen zieht es bei Horrorfilmen viele junge Leute ins Kino, sie sind zum Teil auf diese Zielgruppe ausgelegt. Aber für mich sind Synchronfassungen natürlich ein Graus. Mindestens 50 Prozent des Schauspiels ist die Stimme.

Macht das Brugggore in diesem ­Bereich Nachwuchsarbeit?

Bei uns im Publikum ist der Altersschnitt zum Glück ausgewogen. Es hat viele Leute in meinem Alter, also zwischen 40 und 50 Jahren. Wir versuchen ganz gezielt, junge Leute anzusprechen.

Ihr Publikumspreis heisst «Eye of the Beholder», welche Rolle spielt der Nerd-Faktor?
Der Nerd-Faktor ist bei uns relativ gross. Beim Publikumspreis wollen wir Filme zeigen, die sehr schräg sind.
Und Filme, bei denen es ordentlich splattert.
«Woodoo» und «Opera» waren lange Zeit nicht ungeschnitten erhältlich. Es gibt eine recht grosse Fanbase für die harte Kost, die wir abholen wollen.

Was haben Sie aus den bisherigen vier Ausgaben gelernt?
Wir haben natürlich die Auswertungszahlen und sehen, welche Filme funktionieren und welche nicht. Aber deshalb wollen wir nicht auf die Werke verzichten, die vielleicht nur 20 Leute ansprechen. Bisher waren es vor allem Feinjustierungen.

Das Festival wächst um einen Tag. Ein Zeichen des Erfolgs?

Das war mehr als Gag gedacht: 5 Jahre, 5 Tage, 50 Filme – das liest sich schön. Wir haben eine breitere Programmauswahl. Es steht noch nicht fest, ob es bei fünf Festivaltagen bleibt.

Im letzten Jahr haben Sie 3200 Einzeltickets verkauft. Was ist in diesem Jahr möglich?

Der Vorverkauf lief deutlich besser als im letzten Jahr. Ich erwarte keinen gigantischen Sprung. Wir haben nicht mehr Ressourcen, kein grösseres Budget für das Marketing. Wir können nur organisch wachsen.

Wie viele Filme schaut man sich an als Festivalteam?
Dieses Jahr waren es sicher 100. Bei der Retrospektive kennt man sich zum Glück schon etwas aus.

Im Programm befinden sich 33 Schweizer Premieren, lockt das das Publikum in die Kinosäle?
Bei Premieren ist das ist immer schwer einzuschätzen. Ich bin sehr gespannt auf «Pubrik Gula» aus Indonesien.

Animationsfilme aus Japan haben in diesem Jahr einen eigenen Festivalbereich.
Es ist das zweite Mal, dass wir mit dem Animationsfilmfestival Fantoche aus Baden eine Partnerschaft haben. Der Regisseur Yoshiaki Kawajiri wird 75 Jahre alt, und seine Filme passen zum Horrorgenre.

Und Nicolas Cage darf natürlich nicht fehlen.
«The Surfer» ist plötzlich auf unserem Radar aufgetaucht. Er passt eher zum Beyond Horror – und zu Nicolas Cage kann man nicht Nein sagen.

Sie haben eine eigene Seite auf der Filmplattform Letterboxd. Hilft das bei der Vermarktung über die Grenzen hinweg?
Ja. Ich selbst bin nicht aktiv in den sozialen Medien. Ich hoffe, wir können uns dieses Jahr besser über die Plattform vernetzen, denn die Werbespots von Letterboxd hatten wir ­bereits im Programm. Die Interaktion mit den Fans ist ein Teil unserer Zukunft.

Gibt es verschiedene Lager im Publikum?
Es hat definitiv Vorlieben. Der Generationsunterschied könnte ein Thema bei gewissen Filmen werden, die sehr sexistisch und stumpfsinnig sind. Wir wollen, dass sich bei uns alle wohlfühlen, aber auch nicht die Fans gewisser Subgenres verschrecken. Wir haben in diesem Jahr zum ersten Mal Trigger-Warnungen vor den Filmen – also Inhaltswarnungen zum Beispiel vor sexualisierter Gewalt.

Es ist immer sehr schön, wenn die Brugger Innenstadt mit Ihrem Logo mit den Augen dekoriert ist.
Das war wirklich ein Glücksfall. Ein guter Freund von mir ist Grafiker, er hat eine sehr klare Linie bei seinen Designs. So haben wir das Auge in der Popcornpackung, was für Wiedererkennung sorgt.

Was kommt noch? Sie bieten ja ganzjährig die Double Features in den Kinos an.
Ich kann mir gut vorstellen, dass wir das weiter ausbauen. Der Exkurs ins Salzhaus hat mir sehr gut gefallen. Die Brugger Dokumentarfilmtage zeigen ja ebenfalls dort Filme. Mehr als 50 Filme im Programm bringen uns allerdings nicht so viel, und die Fans würden dann auch mehr Filme verpassen. Und eine Erweiterung der Festivaldauer kommt für uns wohl zu früh.

Zu welcher Zeit ist die beste Stimmung?
Das hängt sehr von den Filmen ab. Fun-Splatter wie «Bloody Axe Wound» kommen sehr gut beim Publikum an. Und Samstagnacht um 1 Uhr wird es sicherlich amüsant mit «Scared Shitless» – Hirn aus, Bier rein. In den Mitternachtsvorstellungen wird generell mehr applaudiert und gejubelt. Ich bin allerdings extrem zufrieden mit unserem Publikum, das sehr gesittet ist. Aber mal kurz Applaus, weil ein Kopf fliegt, das kommt vor.

Gibt es noch die ein oder andere Überraschung für die Horrorfans?
Das darf ich natürlich nicht verraten. (Lacht.)

Filmfestival Brugggore
22. bis 26. April in Brugg