Neuenhof – Die Geschichte der Spitex Wettingen-Neuenhof beginnt wahlweise vor über 100 oder bereits vor 120 Jahren. Seit 1905 ist in Wettingen ein Krankenpflegeverein belegt. Dieser wurde in einem Brief von Pfarrer J. Waldeskuht vom 26. April 1905 an die wohlerwürdige Frau Mutter M. Paula Beck, Generaloberin des Klosters in Menzigen, erwähnt. Schon in den ersten Jahren herrschte ein akuter Fachkräftemangel. In einem Brief vom 10. Mai 1916 an die wohlerwürdige Generaloberin Cornelia Motta beklagt sich Pfarrer Waldeskuht über die unzureichende Versorgung der Gemeinde mit den Worten: «So kann es nicht gehen.»
In Neuenhof wurde 1924 der Haus- und Krankenpflegeverein gegründet. In den ersten Jahrzehnten wurde die Krankenpflege von Nonnen, vor allem aus dem Kloster Menzigen, übernommen. «Der Jahreslohn einer Krankenschwester betrug 300 Franken, das war für die damalige Zeit keine schlechte Bezahlung», erklärt Andreas Kaufmann, Geschäftsführer der Spitex Wettingen-Neuenhof. Er hat sich anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der Spitex Neuenhof letztes Jahr und der 120-Jahr-Feier der Spitex Wettingen dieses Jahr vertieft mit der Geschichte der Pflegeorganisationen auseinandergesetzt.
Weltliche Unterstützung
Schon wenige Jahrzehnte nach der Gründung, in den 1940er- und 1950er-Jahren, war die Pflegearbeit allein durch Nonnen nicht mehr zu bewältigen, und man öffnete sich weltlichem Pflegepersonal. Über all diese Jahrzehnte verzeichnete man ein stetiges Wachstum an zu erbringenden Leistungen. Auch Nachtwachen am Bett der Kranken waren damals üblich. «Generell kann man sagen, dass das Leistungsangebot damals umfassender war als heute», konstatiert Andreas Kaufmann.
Zu Beginn wurde die Haus- und Krankenpflege in Wettingen noch getrennt nach Konfessionen erbracht. Erst 1994 schlossen sich die zwei kirchlichen Vereine, der Katholische Verein für Krankenpflege und Familienhilfe und der Reformierte Kranken- und Hauspflegeverein in Wettingen, zum Haus- und Krankenpflegeverein Wettingen zusammen. Die beiden Vereine leisteten während vieler Jahre wichtige Arbeit, die von den Mitgliedern zwar sehr geschätzt, von den lokalen Behörden jedoch nicht als öffentliche Aufgabe anerkannt und finanziert wurde. Das, obwohl das neue Gesundheitsgesetz aus dem Jahr 1987 die Gemeinden dazu verpflichtete, «für die Gemeindekrankenpflege, die Hauspflege sowie die Beratung von Schwangeren und Müttern zu sorgen».
Mit der wachsenden Anerkennung der Pflegearbeit stiegen die Anforderungen an dieselbe. Obwohl einige der früheren Aufgaben mit der Zeit vom sich etablierenden Spitalwesen übernommen wurden, stieg die Anzahl der Mitarbeitenden von 15 um die Jahrtausendwende bis auf heute rund 80 an. Im gleichen Zeitraum vervielfachte sich der Umsatz auf heute etwa 6 Millionen Franken im Jahr. «Wegen unserer Ursprünge haben viele Menschen heute noch das Gefühl, dass wir ein kleines Unternehmen sind», erklärt Andreas Kaufmann. «Das ist inzwischen aber schlicht nicht mehr der Fall.»
Kooperation über die Limmat
Um Synergien besser nutzen zu können, wurde die Zusammenarbeit zwischen den Spitex-Organisationen in Neuenhof und in Wettingen zunehmend intensiviert. Das ging so weit, dass beide Organisationen 2016 fusionierten und im Mai 2021 gemeinsam ein neues Zentrum in Neuenhof bezogen, wo die Spitex nach wie vor residiert. Mit dem Zusammenschluss vollzogen die beiden Organisationen einen Schritt, in dem Andreas Kaufmann die Zukunft der spitalexternen Pflege sieht: «Ich glaube, dass kleine und mittelgrosse Spitex-Organisationen verschwinden werden, weil sie nicht die Ressourcen haben, um das geforderte Angebot bereitzustellen. Wir betreuen heute etwa 31 000 Menschen, und auch wir werden wachsen müssen.»
Nach dem Dafürhalten des Geschäftsführers sollten Spitex-Organisationen künftig für bis zu 60 000 Menschen zuständig sein, um gleichzeitig das komplette Pflegeprogramm anbieten zu können, ohne den persönlichen Kontakt zu den Patientinnen und Patienten aufgeben zu müssen.
Ausdruck der zunehmenden Professionalisierung der ambulanten Pflege war mitunter die Gründung einer gemeinnützigen Aktiengesellschaft, die am 1. Januar 2024 ihren Betrieb aufnahm. Sämtliche Geschäftsbereiche des bestehenden Vereins wurden der neu gegründeten Aktiengesellschaft übertragen, die allerdings im Eigentum des Spitex-Vereins verblieb.
Grenzkonflikte lösen
Die Spitex Wettingen-Neuenhof AG ist heute eine der grössten und modernsten Spitex-Betriebe im Aargau. Durch stetige Weiterentwicklung gelang es ihr über ein Jahrhundert lang, am Puls der Zeit zu bleiben. Weil der Kanton Zürich nah ist und die Pflegelöhne dort höher sind, setzte die Spitex Wettingen-Neuenhof im Kampf gegen den Arbeitskräftemangel auf erstklassige Arbeitsbedingungen. Dass sie damit Erfolg hat, zeigt sich anhand der hohen Zahl langjähriger Mitarbeitender, zudem erhielt das Unternehmen letztes Jahr den «Swiss Arbeitgeber Award», wodurch es branchenübergreifend als vorbildlicher Arbeitgeber anerkannt wurde.
Grund zum Feiern hatte die Spitex Wettingen-Neuenhof auch anlässlich des Jubiläumsfests Ende Mai. Hunderte von Besucherinnen und Besuchern liessen sich die Gelegenheit nicht entgehen, der Pflegeorganisation ihre Aufwartung zu machen. «Es war ein Tag voller wunderschöner Begegnungen und eine tolle Wertschätzung unserer Arbeit», resümiert Andreas Kaufmann.