«Komplimente tun Müttern gut»

Die Coaches im Familien­alltag: Seit über 70 Jahren betreut die Mütter- und Väterberatung Eltern und Kinder in den ersten Jahren.
Vertrauliche Gespräche: Beraterin Stephanie Rohr mit einer Mutter und deren Baby im Familienzentrum Karussell. (Bild: is)

Wer ein Kind bekommt, lernt sie in den ersten Tagen nach der Heimkehr kennen: Die Mitarbeiterinnen der Mütter- und Väterberatung (MVB). Im Bezirk Baden betreut die MVB 26 Gemeinden mit rund 146 500 Einwohnerinnen und Einwohnern. Das Angebot ist freiwillig und wird von den Gemeinden unter dem Bereich «Prävention» finanziert. Es wird von den meisten Eltern gern in Anspruch genommen: «Wir sind bei rund achtzig Prozent der Eltern einmal zu Hause», sagt Annegret Gerber, die seit zwölf Jahren die Geschäftsstelle in Wettingen leitet. 

«Die Eltern sind die Experten»
Während früher aufgrund der hohen Säuglingssterblichkeit vor allem die Hy­giene und Ernährung sowie der allgemeine Gesundheitszustand kontrolliert wurden, ist die Begleitung heute viel umfassender. Es finden Beratungen zu den Themen Stillen, Ernährungsaufbau, Entwicklung, Schlafen oder Erziehung statt, und die Babys werden gewogen und gemessen. «Wir wollen in der frühen Kindheit für die Eltern da sein. Unsere vierzehn Mitarbeitenden sind in allen Themen Spezialistinnen und bilden sich ständig weiter», erklärt Gerber. Die Mütter- und Väterberatung arbeite «nicht problembezogen, sondern lösungsorientiert – immer nach dem Grundsatz: Die Eltern sind Experten für ihr Kind, denn sie kennen es am besten». Mittlerweile kommen rund ein Fünftel Männer in die Beratung. Das sei eine sehr erfreuliche Tendenz, so Gerber.

Annegret Gerber, Geschäftsleiterin MVB Bezirk Baden. (Bild: zVg)

Druck ist kontraproduktiv
Im Bezirk Baden kann man sich täglich in einer der zahlreichen Beratungsstellen Unterstützung oder Hilfe holen. Im Familienzentrum Karussell in Baden sitzt eine Mutter mit ihrer bald dreijährigen Tochter im Besprechungsraum von Beraterin Stephanie Rohr. Ihr Thema: Trockenwerden. Das kecke Mädchen rennt daheim ohne Windeln herum, doch nachts und im Freien klappe es einfach noch nicht, erzählt die junge Mutter.

Rohr hört ihr geduldig zu. «Ihre Tochter ist super unterwegs und zeigt klar, was sie möchte. Warten Sie, bis sich Ihre Tochter sicher fühlt, dann kommt es von selbst. Druck bewährt sich nie, er ist kontraproduktiv», erklärt die Expertin. Um trocken zu werden, müsse sich ein bestimmtes Hormon bilden. «Ein Kind kann das nicht beeinflussen, das passiert irgendwann zwischen drei und fünf Jahren.» Dann wendet sich Rohr an das Mädchen und lobt: «Du machst das super!» Das Kind lächelt, und die Mutter geht gestärkt zurück in den Alltag.

Mütter fühlten sich oft unter Druck, weiss Geschäftsleiterin Annegret Gerber. Einerseits setzen sich viele selber unter Zugzwang, was die Entwicklung ihrer Kinder betrifft. «Dabei ent­wickeln sich Kinder eigenständig, im eigenen Rhythmus. Sie wollen einfach Geborgenheit und Liebe erfahren», weiss Gerber.

Internet sorgt für Verwirrung
Für Verwirrung sorge oft auch das Internet. «Bei Fragen zum Stillen oder zur Ernährung informieren sich viele Eltern zuerst im Internet und sind durch diese unterschiedlichen Meinungen verunsichert.» In Sachen Ernährung stützt sich die MVB auf die Fakten der Schweizer Gesellschaft für Ernährung, so Gerber. Auch die Doppelbelastung mit Job und Familie ist bei den Müttern und Vätern immer wieder ein wichtiges Thema in der Beratung. Gemäss Bundesamt für Statistik sind mehr als achtzig Prozent der Mütter heutzutage in Teilzeit berufstätig. Die Erwerbsquote der Väter (97 Prozent) ging hingegen nur minim zurück.

Die MVB hat mit den Gemeinden einen Leistungsvertrag für einen bis zwei Hausbesuche nach der Geburt. Während früher die Begleitung durch die Fachstelle endete, sobald ein Kind vom Tisch ass – was ungefähr mit einem Jahr der Fall ist –, bietet die MVB heute standardmässig einen zusätzlichen Hausbesuch im Alter von 30 bis 38 Monaten an, bevor die Kinder in den Kindergarten kommen. «Zu diesem Zeitpunkt könnte man bei Bedarf noch die Weichen stellen, etwa in der sprachlichen Entwicklung mit der Logopädie», sagt Annegret Gerber.

Mit diesem sogenannten FF3-Angebot hat die Mütter- und Väterberatung eine Lücke geschlossen. Zudem könne man bei dieser Gelegenheit auch gleich sehen, wie es den Eltern gehe, und sie stärken: «Zu hören, sie habe es gut gemacht, tut jeder Mutter gut, denn sie erhält selten Bestätigung.»

Begleitung bis fünf Jahre
Die Herkunft der Eltern ist ebenfalls ein wichtiger Faktor. Im «Karussell» ist nun eine Mutter mit spanischen Wurzeln mit ihrem zehn Wochen alten Töchterchen bei Stephanie Rohr. «Für mich war das anfangs schwierig, denn in meiner Heimat gibt es leider ein solches Angebot nicht», gibt die junge Frau zu. Mittlerweile schätze sie die Beratung der MVB sehr und komme regelmässig ins «Karussell».

Ihr Thema heute: der grosse Bruder, der seit einigen Monaten beisst. Die Eltern fühlen sich machtlos, doch die Fachfrau beruhigt: «Das ist ums Alter von drei Jahren ein grosses Thema in vielen Familien. Ihr Kind hat intensive Gefühle, möchte vieles, aber kann und darf noch nicht. So ist er von morgens bis abends in einer Stress­situation», erklärt Stephanie Rohr und gibt einen Tipp: «Gehen Sie immer in die Perspektive Ihres Kindes. Sprechen Sie aus, was es fühlt, und geben Sie auch mal nach, wenn etwas gar nicht so wichtig ist. Das hat nichts mit Verwöhnen zu tun. Und: Sie machen das super!»

mvb-baden.ch