Nazis und Geflüchtete am Tisch

Regisseur Max Wigger und Schauspielerin Verena Buss setzen mit dem Stück «Wir, die dasitzen» einen Kontrapunkt zum Bäderfest-Geschehen.
Regisseur Max Wigger und Schauspielerin Verena Buss bespielen am Bäderfest die Dreikönigskapelle. (Bild: zvg)

Das Publikum betritt die Badener Dreikönigskapelle auf einem Teppich aus Lindenblättern. «Dieser Baum hat eine grosse Symbolik und ist unter anderem Zeichen von Gerechtigkeit und Grundbesitz», sagt Max Wigger. Gemäss seiner Recherche standen Lindenbäume in Buenos Aires oft in den Vorgärten geflüchteter Nationalsozialisten. Einer davon war der hochrangige SS-Offizier Friedrich Kadgien, der als rechte Hand von Hermann Göring galt. Nach Kriegsende floh er mit Nazi-Raubgeldern nach Argentinien. Seine Spur verlief sich auf einer Farm in Brasilien, und er konnte nie zur Rechenschaft gezogen werden. Wenig bekannt ist, dass er sich zuvor im Hotel Verenahof in Baden versteckte.

Wo liegt die Wahrheit?
Als Wigger und Schauspielerin Verena Buss die ARD-Dokumentation «Der Weg der Schlange» über das Leben von Kadgien sahen, waren sie sofort fasziniert. Statt den im «Verenahof» heute noch gern erwähnten Literaten und Musikern stellen sie in ihrem Stück «Wir, die dasitzen» eine düstere Figur ins Zentrum ihrer Geschichte. Wigger: «Oft sassen im Badener Hotel lupenreine Nazis und Geflüchtete am selben Tisch, ohne voneinander zu wissen.»

Die brisanten Facts vermischen sich in der Inszenierung mit Fiktion. Schauspielerin Verena Buss spielt eine Aktrice, die in Baden das Stück «Heimat» aufführen soll. Zuschauerinnen und Zuschauer werden dank akustischer und visueller Effekte in einen Schnellzug auf dem Weg von Deutschland in die Schweiz versetzt. Doch dann steht sie vor ihnen und hat zu ihrem Entsetzen ein Drehbuch mit lauter leeren Seiten in der Hand. Der Autor des Stücks ist sang- und klanglos verschwunden.

Die Leere beginnt sie nun, mit eigenen Gedanken zu füllen. Unsicherheit macht sich breit. Hoffnungen, Zweifel und Ängste entwickeln sich. Auch ihr Vater und andere Bekannte waren öfter in Baden zur Kur. War das wirklich so, oder diente der Aufenthalt nur als Vorwand, um Handel und Machtspiele zu betreiben? Vielleicht gar, um sich zu verstecken wie Kadgien? 

«Wir, die dasitzen» ist eine emotionale Performance, bei der das grosse schauspielerische Talent von Verena Buss voll zum Zug kommt. Ihre Stimme erklingt nicht nur live, sondern auch aus mehreren Monitoren. So entsteht ein mikroskopischer Einblick in die Gedankenwelt verschiedener Menschen, die sich in ihr als Bühnenfigur bündeln. Immer wieder sieht sie sich mit unschönen Fakten aus der Geschichte des «Verenahofs» konfrontiert, in dem sie eigentlich eine Aufführung zum Thema Heimat spielen wollte. Und in ihr keimt zunehmend die Frage auf: «Wo bin ich eigentlich gelandet?»

Auszeit vom Festgeschehen
Eine sechskanalige Audioinstallation von Komponistin Sophie Oetinger vermittelt mit Klängen und Geräuschen die Atmosphäre von Baden, an die Decke der Dreikönigskapelle werden 3-D-Scans vom Verenahof projiziert. Das Bühnenbild kreiert Remo Hochstrasser. «Unser Stück bietet keine Lösungsansätze, sondern Denkanstösse», sagt Regisseur Wigger, «es ist halt nicht alles schön und schmerzfrei, wie das oft vorgegaukelt wird.» Eine besinnliche und andächtige Auszeit verspricht er, bevor das Publikum wieder ins restliche Festgeschehen eintaucht.

Der 26-jährige Max Wigger stammt aus Münster und hat nach verschiedenen Studien im Kulturbereich vor einem Jahr seinen ersten Spielfilm «Seascape» abgedreht. Verena Buss gilt als eine der Grandes Dames des Theaters. Sie besetzte in renommierten Häusern in Basel, an der Städtischen Bühne Köln und am Hamburger Thalia Theater Hauptrollen und ist bekannt aus Spielfilmen wie «Der Gehülfe» und «Der sanfte Lauf» (mit Bruno Ganz) oder aus der TV-Serie «Der Fahnder».

Freitag, 28. Oktober, 20 Uhr
Samstag, 29. Oktober, 17 und 20 Uhr
Sonntag, 30. Oktober, 17 Uhr
Dreiköngiskapelle, Baden