«Als Lehrer bin ich strenger»

Morgens ist er Primarlehrer, abends Fussballtrainer: Mike Winsauer hat immer den Anspruch, das Beste aus seinen Schützlingen herauszuholen.
«Meine Spieler hätten 1000 Zuschauer verdient»: Michael Winsauer im Stadion Esp in Dättwil. (Bild: is)

Im letzten Heimspiel des Jahres bot die Mannschaft des FC Baden ihren Fans nochmals ein besonderes Spektakel: Sie schlug die U-21 der Berner Young Boys mit 4:3 – und das, obwohl sie zwischenzeitlich 1:3 zurücklag. Zwei Spiele vor Ende der Vorrunde liegt Baden damit auf dem 2. Platz in der Promotion League und darf ein halbes Jahr nach dem Aufstieg bereits von der nächsten «Beförderung» träumen. Damit hätten selbst kühnste Optimisten im Klub nicht gerechnet.

Viele im Umfeld sehen den Grund für das sportliche Hoch im neuen Trainer. Mike Winsauer kam im Sommer vom Zweitligaklub FC Sarmenstorf nach Baden und setzt hier auf Offensivfussball. Die Spieler schätzen seine kommunikative Art: «Es macht extrem Spass, mit ihm zusammenzuarbeiten», lobt Captain Luca Ladner (33), der schon zwölf Jahre im Verein spielt: «Mike redet viel mit den Spielern und bringt neue Ideen.»

Sforzas Schwester geheiratet
Winsauer findet es wichtig, nah bei den Spielern zu sein: «Gleichzeitig muss ich aber aufpassen, dass ich das richtige Mass zwischen Nähe und Distanz finde. Jeder hier hat seine Aufgabe», sagt der 40-jährige Tiroler. Er ist jeden Tag um 16 Uhr im Esp und bereitet die Trainings von 18.30 Uhr vor. «Ich investiere viel in den Fussball und erwarte aber auch von den Spielern viel», hält er fest.

Vormittags arbeitet Winsauer als Lehrer einer 5./6.-Doppelklasse in Waltenschwil. Der Beruf ist ein guter Ausgleich für den ehemaligen Fussballprofi, der mit fünfzehn Jahren zu Hause auszog, um beim FC Tirol in Innsbruck in die Fussballschule einzutreten und es bis in die österreichische U-21-Auswahl geschafft hat. Schon früh setzte Winsauer aber auch auf eine gute Grundausbildung. Als Spieler beim SV Wörgl absolvierte er parallel das Lehrerpatent. «Ich musste täglich über 100 Kilometer pendeln. Aber ich würde es wieder gleich machen – es gab mir die Gewissheit, jederzeit arbeiten zu können, falls es mit der Profikarriere nicht klappen sollte», sagt er heute. In der Winterpause arbeitete er als Skilehrer in der Skischule von Hansi Hinterseers Bruder Ernst in Kitzbühel.

Mit 27 heuerte Winsauer für eine Saison in Wellington (Neuseeland) an, bevor er in die Schweiz zum FC Wohlen kam. Er habe nicht vorgehabt, im Freiamt seinen Lebensabend zu verbringen, sagt der Trainer: «Der Plan war, meine Karriere in meinem Stammverein Sankt Johann in Tirol ausklingen zu lassen.» Doch dann lernte er Sandra, die Schwester von Ex-Nationalspieler Ciriaco Sforza, kennen – «und nun bin ich schon zwölf Jahre hier». 2013 löste er sogar seinen Vertrag beim FC Wohlen aus privaten Gründen auf: «Meine Frau war schwanger, und ich wollte unter der Woche daheim sein und die Zeit mit der Familie geniessen.» Er fand eine Lehrerstelle an der Schule Waltenschwil und sammelte – ganz nebenbei und ohne Ambitionen – erste Erfahrungen als Assistenztrainer.

Enttäuscht vom Assistenten
Seine Trainerkarriere wollte Mike Winsauer langsam wachsen lassen. Ihn beschäftigten andere Aspekte – ähnliche wie als Lehrer. «In meinen Klassen will ich in den zwei Jahren das Maximum aus jedem Kind herausholen, einfach im Rahmen seiner Möglichkeiten. Das sollte der Anspruch jeder Lehrperson sein», findet der Österreicher. Und wer ist strenger – der Lehrer oder der Trainer Winsauer? Er lacht: «Warscheinlich der Lehrer – und der Papa.» Sohn Fabio (8) und Tochter Mara (6) besuchen in Waltenschwil die 3. und die 1. Klasse. «Ich habe aber schon vorgesorgt, dass sie später nicht in meine Klasse kommen», sagt der stolze Papa.

Mit dem FC Sarmenstorf feierte Mike Winsauer erste Erfolge. Als im Sommer 2022 Baden-Coach Ranko Jakovljevic seinen Weggang verkündete, ging es ganz schnell: Am Sonntag hatte Winsauer ein Gespräch mit Präsident Heinz Gassmann, am Donnerstag wurde er bereits den Spielern vorgestellt. «Ich habe eine intakte Mannschaft angetroffen, und die Jungs haben mich extrem gut aufgenommen», sagt er rückblickend. Mit Ergün Dogru glaubte er zudem, einen idealen Assistenten zu haben – bis dieser letzte Woche den Verein überraschend verlassen hat. «Wir hatten sehr gut zusammengearbeitet. Umso mehr war ich enttäuscht», so Winsauer. Captain Luca Ladner ist jedoch sicher: «Als Team sind wir stark genug, um diese Situation bis zur Winterpause zu überbrücken. Unser Zusammenhalt ist wirklich speziell, und wir helfen Mike, so gut es geht.» Das 4:3 gegen YB war der beste Beweis. «Wir haben hier tolle Bedingungen im Esp», lobt Winsauer und hofft nur noch, dass die Fans dies honorieren: «Die Jungs und Präsident Gassmann hätten 1000 Zuschauer verdient.»