Für beide ist der Zeitpunkt ideal

Wer beerbt den zurücktretenden Walter Vega im Ressort Gesundheit und Soziales im Gemeinderat? Fest steht: Es wird eine Frau sein.
Gern in der Natur: Tanja Marullo geb. Müller (43), parteilos, Hertenstein. (Bild: is)

Als Tanja Marullo von Walter Vegas Rücktritt aus dem Gemeinderat hörte, griff sie zum Telefon: «Ich wollte von ihm Genaueres über sein Ressort und seine Aufgaben erfahren», erzählt die 43-Jährige, die in Nussbaumen aufgewachsen und Mitglied der Finanzkommission der Ortsbürgerkommission ist. Marullo? Der Nachname deutet auf den ersten Blick nicht auf Ober­siggenthaler Wurzeln hin. Tatsächlich ist ihr Ehemann italienisch-schweizerischer Doppelbürger. «Und in meiner ID steht als Heimatort sogar Ober-/Untersiggenthal», erzählt Marullo, eine gebürtige Müller: Ihr Vater Felix Müller stammt aus Kirchdorf, ist im Bauernhof an der Grenze zu Unter­siggenthal aufgewachsen. Auch Marullos Bruder Raphael Müller engagiert sich als Protokollführer bei den Ortsbürgern. 

Grosses Herz und Finanzwissen
Nun sei der Zeitpunkt günstig, in ihrer Heimatgemeinde auch politisch mehr Verantwortung zu übernehmen, findet die parteilose Tanja Marullo. «In den Bereichen Soziales und Gesundheitswesen kenne ich mich sehr gut aus. Da braucht man nicht nur ein grosses Herz, sondern man muss auch mit den Finanzen umgehen können», ist sie überzeugt. ­Marullo hat nach einer Lehre im Detailhandel und als kaufmännische Angestellte Weiterbildungen zur Sachbearbeiterin Treuhand sowie zur HR-Fachfrau mit eidgenössischem Fachausweis Fachrichtung HR-Management absolviert.

Bis 2018 war sie im «Gässliacker» für Finanzen, Personal und ICT zuständig. «Während dieser Zeit wurde mir bewusst, dass ich gerne im sozialen Bereich arbeite und dass die Pflegefinanzierung sowie das neue Betreuungsgesetz sehr spannend und herausfordernd sein könnten», sagt sie. Auch der Kontakt zu den Bewohnenden habe ihr viel gegeben. Vor vier Jahren reduzierte Marullo ihr Pensum auf 60 Prozent – den Grund nennt sie offen: «Mein Mann und ich wollten eine Familie gründen.»

Troubleshooterin bei Konflikten
Da dieser Kinderwunsch leider nicht in Erfüllung ging, ergänzte sie ihr berufliches Pensum mit einer Teilselbständigkeit. Heute arbeitet Marullo zu 60 Prozent als Finanzverwalterin bei der katholischen Kirchgemeinde in Kirchdorf und führt auf Mandatsbasis die Buchhaltung für die «Soziale Fachdienstleistungen AG», die insbesondere in Pflegefamilien lebende Kinder und Jugendliche betreut.

Seit mehreren Jahren wird sie zudem vom Mieterverband Aargau als Wohnfachberaterin empfohlen. «Ich bin da Troubleshooterin in Konfliktsituationen, darin bin ich stark», sagt Marullo. Sie sei ein sehr offener und direkter Mensch. Dabei wolle sie bewusst nicht mit Fachbegriffen um sich werfen, obwohl man dadurch für einige vielleicht inkompetenter wirke: «Aber ich finde es wichtig, mit allen Mitmenschen und auch im Gremium auf Augenhöhe zu kommunizieren.»

Marullo ist parteilos, weil sie sich mit keiner Partei richtig identifizieren kann, ordnet sich aber «zwischen Mitte und rechts» ein. Unabhängigkeit und zielorientierte Gespräche über Parteigrenzen hinaus findet sie wichtig. Eines ihrer Ziele ist auch, die generationenübergreifende Zusammenarbeit zu fördern. Im sozialen ­Bereich wolle sie die vorhandenen Mittel wirtschaftlich und bewusst einsetzen, damit der Schuldenberg Obersiggenthals nicht noch mehr anwächst: «Obersiggen­thal soll lebenswert, aber auch bezahlbar bleiben!»

Immer mit dem Velo unterwegs: Esther Reimann (63), Die Mitte, Nussbaumen. (Bild: is)

Fit für neue Aufgaben
Esther Reimann wird im Sommer 2023 pensioniert – der Zeitpunkt für ein Engagement im Gemeinderat sei auch für sie ideal. Fit für die Aufgaben fühlt sich die 63-Jährige auf jeden Fall. «Bis fast 60 spielte ich Basketball, nun sind Tennis und Snowboard meine Sportarten», erzählt die Mutter zweier Töchter (27 und 29), die in der Region fast ausschliesslich mit dem Velo unterwegs ist.

Sport und Bewegung haben Reimanns Leben geprägt. Als junge Frau war sie Spitzen-Leichtathletin im Mehrkampf, später über 400 Meter Hürden. Aufgewachsen ist Reimann in Baden, und in Wettingen hat sie das Lehrerseminar besucht. 1979 trat sie als 20-Jährige ihre erste Stelle als Primarlehrerin in Obersiggenthal an. «Mein Traum war aber immer Sportlehrerin», verrät sie. Diesen hat sie sich später mit einem Sportstudium an der ETH erfüllt und arbeitete als Turn- und Sportlehrerin an der Bez Baden.

Parallel führte sie ihr Studium (lic. phil. I) weiter mit der Idee, in die Lehrerbildung einzusteigen. Seit 1997 arbeitet sie beim Kanton in der Ausbildung zur Oberstufenlehrperson, seit 2009 an der FHNW als Dozentin für Sport und Sportdidaktik und in den Berufspraktischen Studien. In dieser Funktion war Reimann auch an der Entwicklung von Lehrmitteln sowie bei der Erarbeitung des neuen Lehrplans 21 für das Fach «Bewegung und Sport» beteiligt. «Da ich parallel zur Arbeit in der Ausbildung von Lehrpersonen in Obersiggenthal Sport an der Oberstufe unterrichtete, konnte ich Theorie und Praxis gut verbinden», sagt Reimann.

Über Politik sei schon in ihrem Elternhaus viel diskutiert worden. Ihr Vater Eugen Kaufman engagierte sich in Baden unter anderem als Schulpflegepräsident und war Grossrat der CVP. Auch internationale Politik sei oft Thema gewesen, «und den ‹Eisernen Vorhang› habe ich als Sportlerin miterlebt, durch Wettkämpfe und den Kontakt zu Athletinnen der ehemaligen DDR und Russlands». Esther Reimann trat 2007 in die Partei ein. Vor einem Jahr fragte die «Mitte» Obersiggenthal sie an, ob sie sich für den Einwohnerrat zur Verfügung stelle. Ohne grosse Ambitionen ging Reimann auf die Liste – und wurde gewählt. Es sei spannend, die politische Kultur im Gemeindeparlament zu erleben, sagt sie: «Dort herrscht eine gute Diskussionskultur und auch gegenüber dem Gemeinderat eine wertschätzende Haltung.»

Mehr Frauen in die Politik
Als Vertreterin der Mitte-Partei möchte Esther Reimann dazu beitragen, im Team Lösungen zu finden. «Dazu braucht es verschiedene Sichtweisen», ist sie überzeugt, und: «Ich arbeite gerne in Teams.» Auch als Gemeinderätin möchte Esther Reimann dazu beitragen, gemeinsam Lösungen zu finden. Die Finanzpolitik sieht sie in Obersiggenthal als grosse Herausforderung.

Ihr Ziel ist, die Gemeinde ohne Steuerfusserhöhung lebenswert zu erhalten und weiterzuentwickeln. Die Budget-Diskussion habe dies klar gezeigt: «Wir müssten auch wieder auf die Nachbargemeinden zugehen, etwa beim Thema Schwimmbad.» Wichtig findet sie, die Menschen zu mobilisieren und zusammenzubringen, aber auch Angebote für die Jungen zu bieten, um diese vom Handy wegzuholen. Esther Reimann würde sich wünschen, dass mehr Frauen bereit sind, in eine Partei und in die Politik zu gehen. «Deshalb finde ich es toll, dass auf jeden Fall eine Frau in den Gemeinderat gewählt wird!»