Tinu Heiniger, wie kommt es, dass Sie in der Weihnachtszeit so viele Konzerte geben?
Das ist zur Tradition geworden, nachdem ich vor vielen Jahren einmal am 24. Dezember in Rubigen in der Mühle Hunziken ein Konzert gegeben habe, das die Veranstalter im Programm mit «Heiniger Abend» betitelten. Damals wurde mir so richtig bewusst, wie gut meine Lieder in diese Zeit passen.
Sind die Leute im Advent empfänglicher für leise Töne?
Ja, das denke ich schon. Es ist eine spannende Jahreszeit, in der sich alles zurückzieht. Ich gehe sehr gerne in den Wald, wenn es schneit, auch in der Nacht, und geniesse die dortige Ruhe. Ich habe es schon als Kind geliebt, besinnlich zu sein. Sinnlich zu sein. Franz Hohler sagte mal zu mir: «Du bist der Melancholiker unter den Liedermachern.» Und das stimmt.
Wie erklären Sie sich das?
Das hat sicher mit meinen Grosseltern zu tun. Wenn ich bei ihnen war, haben die Kerzen gebrannt, und meine Grossmutter las auf Hochdeutsch Märchen vor. Von meinem Grossvater lernte ich, wie ich für meine Mutter eine Früchteschale und für den Vater einen Aschenbecher schnitzen konnte. Ich habe mich natürlich auch gefreut, wenn ich an Weihnachten einen neuen Hockeystecken (alternativ: Eishockeystock) bekam, aber selbst schenken zu können, fand ich noch viel schöner.
Was macht den «Heiniger Abend» 2022 aus?
Unter den vielen Liedern, die in den acht Jahren seit «Scho so lang» entstanden, sind viele, die gut in diese Zeit passen und einen Vorgeschmack auf das Doppelalbum geben, das am 24. Februar herauskommen wird. Darunter sind drei anspruchsvolle, von Dylan inspirierte Songs, welche die ganze Weite des Lebens abbilden. Mit dem grossartigen Hank Shizzoe, dem besten Gitarristen für amerikanische Musik in der Schweiz, und dem Posaunisten Michael Flury, einem Riesentalent, habe ich zwei tolle Musiker, die mich auch live begleiten.
Wer hat Ihre Musikbegeisterung geweckt?
Als ich in der Stifti war, habe ich das erste Mal die Berner Troubadours gehört. Ich wusste sofort: Von ihnen war Mani Matter eine Liga für sich. Ich beschreibe diese Erfahrung auch in meinem neuen Buch «Mein Emmental». Ausserdem bin ich völlig auf Jazz abgefahren, während die Stones und die Beatles fast an mir vorübergingen. Mein Ziel war, auf der Klarinette mit der Chris Barber Band mithalten zu können. Obwohl ich weiss, dass ich nie so gut Gitarre spielen werde wie Hank, ist er bei jeder Probe mein Massstab. Mein Glaubenssatz lautet auch beim Texten: Ich gebe mich erst zufrieden, wenn ich weiss, dass ich es nicht mehr besser kann.
Früher waren Sie ein Revoluzzer. Woran erinnern Sie sich?
Als ich Musiklehrer an der Bezirksschule Balsthal war, fragte ein Mitglied der Schulpflege, im Militärdienst Oberst, nach einer Sitzung, wie lange man den linken Heiniger eigentlich noch durchfüttern wolle … Ich habe damals für die POCH und die Revolutionäre Marxistische Liga gesungen. Deshalb freute es mich besonders, als Elisabeth Baume-Schneider, die in jungen Jahren RML-Funktionärin war, zur Bundesrätin gewählt wurde! (Lacht)
Wie kamen Ihre Eltern damit klar, dass Sie zwar eine Schreinerlehre machten, aber den Familienbetrieb nicht übernehmen wollten?
Mein Vater, ein Freigeist und Eingeheirateter, verstand es viel besser als meine Mutter. Sie hätte Schreinerin werden wollen, durfte es als Mädchen aber nicht. Trotzdem hat sie den Betrieb mit meinem Vater zusammen weitergeführt. Er setzte sich zwar fürs einheimische Gewerbe ein, doch wurde es ihm in Langnau mehr als einmal zu eng.
Der Untertitel Ihres Buchs lautet «Geschichten aus der schönen, engen Welt von gestern». Was hat Ihnen im Emmental gefallen?
In einem Dorf aufzuwachsen, wo jeder jeden kennt, wo ich im Turnverein, im FC und im Hockeyclub war, das ist nicht nichts, sondern etwas sehr Organisches. Trotzdem kann einem die soziale Kontrolle zu viel werden. Dann muss man mal dringend weg! (Lacht)
Wohin gingen Sie?
Nach der Stifti in Bern hat mir mein Götti eine Stelle in Genf vermittelt, doch in dieser Grossschreinerei hat es mir abgelöscht. Ein Freund, mit dem ich viel Musik und Sport machte, animierte mich, die Aufnahmeprüfung für die Ausbildung zum Musiklehrer zu wagen. Ich habe sie geschafft und auch gerne Unterricht gegeben. Dennoch wollte ich meinen Lebensunterhalt so schnell wie möglich als Liedermacher verdienen und bin dankbar, dass es mir seit über dreissig Jahren gelingt.
Wie sind Sie nach Kölliken gekommen?
Ich bin in meinem Leben schon sehr oft umgezogen. Mit meiner ersten Partnerin habe ich in Belp, Thun und Gunten gewohnt. Als ich Maja kennenlernte, lebte ich in einer WG in Zürich mit Paul Weilenmann von «Karls kühner Gassenschau» und war am Wochenende meistens bei ihr. Wir wohnten zwölf Jahre in Schöftland und sind seit drei Jahren wieder in Kölliken.
Was gefällt Ihnen besonders?
Mir geht es offenbar gleich wie vielen anderen Dörflern, die irgendwann wieder in einem Dorf landen. Ich habe Zürich geschätzt, aber ich wusste, dass ich dort nicht alt bzw. nicht noch älter werden möchte. Wenn ich meine Eltern besuchte und alten Kollegen begegnete, fragten Sie mich immer entgeistert: «Was machsch du in Züri?» Wie kann einer aus Langnau überhaupt nach Zürich gehen!? «De Zürcher muess mer uf d’Schnure gäh!» (Lacht)
Und sonst?
Sobald in Kölliken die Badi aufgeht, zähle ich zu den Stammgästen. Ganz besonders gefällt mir auch der Wald. Da zieht es mich immer wieder hin.
Wie gut kennen Sie Brugg?
Meine ersten Auftritte hatte ich im Salzhaus. Dann kamen die Veranstalter von sich aus zu mir und sagten: «Was du machst, passt besser ins Odeon.» Nun werde ich mit dem «Heiniger Abend» schon zum fünften oder sechsten Mal dort auftreten. Nach dem Konzert heisst es dann meistens: «Also, bis zum nächsten Jahr!»