Annemarie (60) aus Windisch beugt sich genüsslich über ihren Teller mit Roastbeef, Bratkartoffeln und Gemüse. Zur Vorspeise gab es gemischten Salat, gefolgt von einer Kartoffelsuppe mit Trüffelöl. Als Dessert wird eine Cheesecake-Creme gereicht. Annemarie ist eine von 35 Gästen aus dem Aargau und aus Zürich, die am vierten Advent unentgeltlich im Steakhouse zur alten Schmitte verköstigt werden. Sie wurde mit einem Shuttlebüssli abgeholt, bekam ein Viergangmenü serviert, und vor dem Nachhauseweg erhält sie noch eine Geschenktasche voller Lebensmittel. «So verwöhnt zu werden, ist wirklich aussergewöhnlich und beschert mir eine besondere Vorweihnachtszeit, denn die ist nicht ganz einfach für mich», berichtet sie später.
Nächstenliebe kann jeder bieten
Wie fast alle Anwesenden lebt auch die Sechzigjährige von der sozialen Fürsorge. Trotz der nicht ganz einfachen Voraussetzungen ist die Stimmung am Mittagessen entspannt, und alle erfreuen sich am gemeinschaftlichen Zusammensein.
Die unentgeltliche Gastfreundschaft im Steakhouse zur alten Schmitte haben die Teilnehmenden dem Wirt, Samy Scheller, zu verdanken. Der 40-Jährige, der Fleisch und Whisky über alles liebt und sich «Meister der Flammen» nennt, ist nicht nur ein leidenschaftlicher Koch, sondern auch ein begnadeter Grilleur. Er habe ein grosses Herz, sagen seine Freunde. Bereits zum sechsten Mal hat Scheller das Gratisessen für Obdachlose und Bedürftige durchgeführt. «Ich bin in einer Gastrofamilie gross geworden, und meine Grosseltern offerierten während vieler Jahre unentgeltlich einem Stammkunden, der keine Familie mehr hatte, ein Mittagsmenü. Nächstenliebe liegt wohl in unserer Familien-DNA, wir leben sie wirklich» so der Koch. Einer seiner Lieblingssprüche lautet: «Ich diene lieber, als ich verdiene.»
Um diesen Anlass überhaupt stemmen zu können, wirkte der heute 76-jährige Egon Herren in der Organisation sehr stark mit.
Organisatorin gesucht
Dieses Jahr war es aber dessen letzter «Familienschmaus». «Wir suchen deshalb einen ebenbürtigen Nachfolger oder eine Nachfolgerin», sagt Scheller. Wer sich also berufen fühlt und ehrenamtlich mithelfen möchte, dass diese Anlässe weiterhin stattfinden können, darf sich bei Scheller melden. «Zudem habe ich einen Traum», ergänzt der Gastronom: «Mir würde man das grösste Weihnachtsgeschenk machen, wenn künftig auch andere Restaurants und Wirtshäuser mitziehen und ebenfalls solche Mittagessen organisieren würden. Das wäre doch genial, wenn überall zur selben Zeit solche karitativen Events stattfinden könnten», findet Scheller. Es brauche doch relativ wenig, um den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, ist der umtriebige Gastronom überzeugt. «Ich denke halt gerne gross, das liegt wohl an meinem Übernamen», fügt Scheller an, der auch «Big Sam» genannt wird. Schliesslich bringt er gut 130 Kilogramm auf die Waage bei einer stattlichen Grösse von 180 Zentimetern. «Mal schauen, ob ich meinem Übernamen für diese Projektidee tatsächlich alle Ehre mache», fügt Big Sam augenzwinkernd hinzu.