«Musiker sind virtuoser als Schauspieler»

Schauspieler und Komiker Mike Müller über seine Produktion mit Cantautore Pippo Pollina, das Kurtheater und den neuen Bestatter-Film.
«Baden ist super kuratiert»: Mike Müller freut sich aufs Kurtheater. (Bild: zVg)

Mike Müller, wie kommt es, dass ein italienischer Musiker und ein Schweizer Komiker gemeinsam auf der Bühne stehen?
Wir wohnen ja beide in Zürich, kannten uns aber bisher nur flüchtig. Man sagte sich Hoi, wenn man sich irgendwo an einem Anlass sah. Als die Anfrage vom «Kein&Aber»-Verlag kam, ob ich mit Pippo Pollina zusammen eine Lesung zu seinem Buch «Der andere» machen möchte, sagte ich sofort zu. Es ist mal was völlig anderes. Obwohl es sicher Leute gibt, die das besser machen als ich, Lesungen sind nicht wirklich meine Spezialität.

Wie sprechen Sie miteinander?
Da Pippo schon lange in Zürich lebt, spricht er sehr gut Hochdeutsch. Seine Techniker reden fast nur Italienisch – eine wunderschöne Sprache, und ich verstehe auch einiges, aber mit dem Reden ist es so eine Sache … Aber ich lese ja Deutsch vor.

Kannten Sie seine Musik zuvor?
Bei der gemeinsamen Arbeit in seinem Atelier habe ich x Kostproben von seinem Können erhalten. Diese Physis, die Pippo im Proberaum hat, die ist abnormal, er kann einfach alles! Er singt, greift zur Mandoline, sieht irgendwo in einer Ecke etwas stehen – «ah, ein Klein­instrument!» –, fängt an zu spielen, wechselt dann an den Flügel. Und ich denke nur: «Scheisse, und ich kann nichts.» Pippo hat im vergangenen Jahr 150 Shows in Italien, Deutschland, Österreich, Frankreich und in der Schweiz gespielt. Er ist viel internationaler unterwegs als ich.

Trotzdem werden auch Leute Ihretwegen in die Show kommen. Was erwartet die Zuschauerinnen und Zuschauer im Kurtheater?
Ich bin froh, dass ich das nicht so genau definieren muss. Es ist eine Lesung, szenisch und konzertant, eine Multimediashow mit Texten, Musik, Videos, Bildern, Geräuschen. Zu jeder Passage, die ich lese, suchte man etwas Passendes. Pippo hat einige Stücke extra komponiert, und er singt auch Songs von anderen Künstlern. Alles entstand in seinem Kopf. Darum ist es eigentlich ein Abend von Pippo, bei dem ich aber sehr gern dabei bin.

«Der andere» erzählt die Geschichte von zwei jungen Männern in Palermo und in Wolfsburg.
Anfangs sind es zwei Parallel­geschichten von einem sizilianischen Arzt und einem deutschen Schriftsteller, die eigentlich nichts gemeinsam zu haben scheinen und irgendwann zusammen­kommen. Es geht einerseits um die italienische Politik, die Probleme mit der Mafia, die Pippo als Palermitano sehr gut kennt. Im Buch steckt sehr viel von ihm. Er war sehr jung, als er Sizilien verliess. Im Buch ist aber auch viel Deutschland drin. Da geht es um die RAF, die Wende. Der Roman enthält sehr viel Zeit­geschichtliches.

Kamen Sie selbst jemals mit solchen Themen in Berührung?
Nicht direkt. Als ich mal länger in Magdeburg war, wurde aus der Beiz in jenem ­Cabaret plötzlich eine Pizzeria. Dann sassen da immer zwei Männer und schauten herum. Ich sagte zu einem Kollegen, die seien doch garantiert nicht sauber. Er meinte: (wechselt zu geschliffenem Hochdeutsch) «Ne, ne, das sind ganz nette Leute.» Aber es war Geldwäsche, nichts anderes, das war in den neuen Bundesländern eine Zeitlang sehr verbreitet. Das ist im Buch sehr drastisch beschrieben. 

Sprechen Sie mit Pippo darüber?
Natürlich reden wir sehr viel über Politik und Ökonomie in Italien und in der Schweiz. Was bringt ein Land vorwärts, was verändert etwas? Aber auch über Kultur und das, was Covid mit der Branche gemacht hat, diskutieren wir.

Litten Sie beide gleich stark?
Alle haben darunter gelitten, und er hat während dieser Pandemie sogar noch eine Band durch­finanziert. Er hat niemanden entlassen. In der Schweiz wurde die Kunst vom Staat zum Glück nicht im Regen stehen gelassen. Natürlich hat es die Etablierten weniger hart getroffen als andere. Ich habe in dieser Zeit die «Erbsache» geschrieben und viele andere Dinge gemacht. Corona hat vor allem die ­Jugendlichen hart getroffen. Es hat ­ihnen zwei Jahre «Umeschmöcke» ­genommen. Das ist ein Alter, in dem Teenager noch unkontrollierbaren Raum brauchen.

Zurück zu Pollinas ­Debütroman. Wäre für Sie ein Ausflug in die ­Musik auch denkbar?
Nein. Musik braucht viel mehr Virtuosität als das Schauspiel. Als einer meiner Musikerfreunde seinen neuen Flügel bekam, schlief er quasi drunter. Ein anderer Freund, Jazztrompeter, sagte mal: «Wir Bläser haben einen Nachteil: Wir können nur vier Stunden am Tag üben.» Ich meinte, das sei doch lang, aber er entgegnete: «Nein! Der Pianist kann acht Stunden üben. Da würden meine Lippen kaputt­gehen.» Finden Sie mal einen Schauspieler, der so viel übt! Der probt, aber er übt nicht stundenlang die Bachfuge oder geht nach einem Konzert in den Keller und spielt einige Stunden Schlagzeug. Man schaut vielleicht etwas auf die Figur und macht Sport, damit man einen Auftritt physisch bewältigen kann. (lacht)

Aber Sie könnten schon singen?
Klar, aber es ist kein Genuss, höchstens lustig. Und man muss als Komiker nicht immer lustig sein. Nein, eine Gesangskarriere ist ausgeschlossen. Pippo hätte das gemocht, aber ich sagte: «Vergiss es.» Es würde auch nicht zum Buch passen. Und das soll an diesem Abend im Zentrum stehen.

Welches Publikum erwarten Sie im Badener Kurtheater?
Eines, das offen ist. Das kann man nur bedingt steuern, denn es hängt nicht nur vom Künstler ab, sondern auch vom Veranstaltungsort. Baden ist super kuratiert, da hat man eine sehr breite Range. Ich schaue mir hier zum Beispiel oft und gerne Tanztheater an, das gefällt mir einfach. Und ich stehe hier auch gern selber auf der Bühne. Ich hatte mal einen Speech vor den «Freunden des Kurtheaters», in dem ich versuchte zu erklären, wie wichtig die Konstanz des Veranstalters ist. Es ist nicht damit getan, bei einem Event «shiny» zu sein, sondern man sollte das ganze Jahr über verschiedene Dinge anbieten. 

Auch Sie sind vielseitig unterwegs, mal gemeinsam mit Viktor Giacobbo im Fernsehen oder im Zirkus Knie und natürlich als «Der Bestatter» Luc Conrad in der Erfolgsserie. ­Haben Sie derzeit neue Fernseh- oder Filmprojekte?
Nein. Aber wir haben im Herbst ­gerade den Bestatter-Film fertig abgedreht, der im April ins Kino kommen soll. Im Sommer ist er dann open-air zu sehen, und im Herbst läuft er im Fernsehen. Während der Dreharbeiten im Engadin haben wir mehrere Wochen in einem alten Hotel mit Etagenduschen gewohnt, das von Holländern geführt wird. Aber ich muss sagen, das war überhaupt kein Problem. Es war ein bisschen wie Schullager: Ich latschte morgens in Unterhose und Shirt nach vorne und musste mich zum Duschen kein einziges Mal anstellen.

Für die Bestatter-Serie haben Sie oft im Aargau und auch hier in der Region gedreht. Was ist von diesem Kanton besonders geblieben?
Ich habe bei den Dreharbeiten viele schöne Orte kennengelernt wie das Stroppel-Areal in Untersiggenthal, wo sich das Bestattungsinstitut befand. Das Wasserschloss ist «huere» schön! Wir waren auch in Linn, ab und zu in Baden und haben in Aarau und Freienwil gedreht. Den Aargau habe ich in den sieben Jahren wirklich gut kennengelernt. Nur die Lägern, die nehme ich mir seit Jahren vor. Aber nicht den schmalen Grat, sondern etwas unterhalb – da gibt es noch einen Weg für Feiglinge. Ich stehe nämlich nicht so auf Berge und Abgründe. Am liebsten bin ich mit dem Velo unterwegs.

Den Bestatter haben Sie beerdigt?
Sicher, und das ist auch gut so. Eine Serie, die gut läuft, muss aufhören, bevor sie anfängt zu «jäsele», also Moos ansetzt oder Fäden zieht … Mittlerweile gibt es ja bereits modernere Erzählformen in Serien, mit einer gewagteren Ästhetik wie etwa beim «Tschugger» oder «Wilder» und einem übergreifenden Fall. Das hätten wir damals auch sehr gern gemacht, durften es jedoch nicht, die Zeit war noch nicht reif dafür. Der Bestatter-Film ist jetzt noch ein letzter Akt, und dann wars das.

Die Bühne bleibt Ihr Kernbusiness?
Ich glaube halt, dass man auf der Bühne als Komiker am meisten lernen kann. Bei Film und TV geht das fast nicht. Obschon die Jungen mit ihren Youtube-Filmchen mich täglich eines Besseren belehren. Ich schaue mir sehr viel an. Manchmal müsste man die jungen Menschen fast bremsen – aber das Netz ist unerbittlich. Es fordert 24/7 …

… und es vergisst nichts.
Ich bin froh, dass es von mir im Internet nichts von früher gibt, das kann ich Ihnen sagen! Da gab es übles Zeug, und auch schlechtes Zeug. Ich schäme mich zwar für nichts, aber ich würde manches nicht mehr machen. Man muss auch mal auf der Bühne auf die Schnauze fliegen, anders kann mans gar nicht lernen. Man kommt raus und muss liefern. Dann ist man unter Spannung und gibt Gutzi. Das ist ein physischer Vorgang.

Gibt es diese Anspannung auch bei Stücken wie «Heute Gemeindeversammlung» noch, mit dem Sie seit 2017 auf Tour sind?
Das habe ich sicher 250 Mal gespielt. Aber die Zuschauer kommen ja nicht zum 250., sondern in der Regel zum ersten Mal. Sie haben eine gute Performance verdient. Du hast eine Abmachung, die beginnt um 20 Uhr, dann gehen die Leute wieder raus, und ich gehe hinter die Bühne. Dann bin ich nicht mehr Schauspieler.

Samstag, 28. Januar, 20 Uhr
Kurtheater Baden
kurtheater.ch