Entdecken, was noch geht

Der Stuhl ist, etwa im Altersturnen, ein bewährtes Hilfsmittel. Nun zieht er in die Yogastudios ein – mit wohltuenden Nebeneffekten.
Barbara Dehm: «Ich erfahre Yoga als einen sehr alltagsbezogenen Weg. Der achtsame und bewusste Umgang mit Körper, Haltung und Atem verändert merkbar mein Dasein in der Welt». (Bild: ZVG)

«Das ist tatsächlich ein spezieller Yogastuhl», erklärt Barbara Dehm und weist auf die Eigenheiten des Möbelstücks hin. Er ist zwar ein platzsparender Klappstuhl, aber dennoch von hoher Standfestigkeit. Er ist rutschfest, hat einen kräftigen Rahmen, aber keine unnötigen Zwischenlehnen, zudem verfügt er über eine ebene Sitzfläche. «Für Yoga ist er perfekt, am Esstisch hingegen wäre er unbequem.» Wie vielfältig sich dieser Stuhl nutzen lässt, zeigt die Lektion «Yoga mit Stuhl», die Barbara Dehm immer am Dienstagvormittag an ihrem Badener Yogastandort einer Gruppe von Frauen im Alter zwischen 73 und 80 Jahren erteilt. Bei der Übung «Taube» werden die Teilnehmerinnen angeleitet, einen Fuss auf den Stuhl zu stellen, sich nach vorne zu beugen, die Hände auf die Lehne oder je nach Dehnfähigkeit auf die Sitzfläche zu legen. Bei der «Palme» wird auf die Fussspitzen gestanden, der Stuhl vor jeder Person dient als Stütze, um nicht aus dem Gleichgewicht zu fallen. Wieder eine andere Übung wird sitzend auf dem Stuhl ausgeführt, die Beine verschränkt, der Oberkörper zur Seite gedreht, die eine Hand auf dem Oberschenkel, die andere die Lehne greifend, um die Dehnung länger halten zu können.

Viel mehr möglich als gedacht
Barbara Dehm praktiziert seit dreissig Jahren und unterrichtet seit über fünfzehn Jahren Yoga in Kirchdorf und Baden. «Der Stuhl ermöglicht es auch Menschen, die aus irgendwelchen Gründen in ihrem Bewegungsspielraum eingeschränkt sind, Yogaübungen auszuführen. Der Inhalt der Lektion liegt bei sanfter Kräftigung, Dehnungen, Gleichgewichtsübungen, Atem- und Entspannungsübungen.» Seit gut einem halben Jahr bietet sie in Baden «Yoga mit Stuhl» an und stellt positiv überrascht fest, wie wohltuend es für die Teilnehmenden sein kann, wenn sie sich nicht auf das fixieren, was durch Verletzungen oder Erkrankungen nicht mehr geht, sondern auf das, was trotz allem möglich ist.

Körper und Psyche im Einklang
Nach ihren Ausbildungen zur Primarlehrerin beziehungsweise ein paar Jahre später zur Musikerin begann sich Barbara Dehm vermehrt für die Zusammenhänge von Körper und Psyche zu interessieren. «Als Oboistin hatte ich erfahren, dass der Klang meines Instruments und seine Wirkung ganz wesentlich davon abhängen, in welcher körperlichen und psychischen Verfassung ich mich befinde», erzählt die lebensfrohe 59-Jährige.

Langjährige Selbsterfahrung und Weiterbildungen in körperorientierten Therapie- und Ausdrucksformen führten sie immer wieder zum Yoga zurück.

Neue Qualitäten entdecken
Gehört Yoga für viele Menschen zum angesagten Lebensstil, beobachtet Barbara Dehm bei ihrer Yoga-mit-Stuhl-Gruppe andere Nebeneffekte. Die Yogalektion ist zum Beispiel wertvoller Begegnungsort. «Vor und nach dieser Stunde wird geplaudert und gelacht wie sonst kaum in einer Gruppe», freut sich die Lehrerin. «Diese Generation von Menschen ist die Beschäftigung mit sich selber weniger gewohnt. Besonders unterstützt durch gezielte Atemübungen in sich hinein zu spüren, kann für sie eine Entdeckung sein.» Barbara Dehm ist es wichtig, dass die Teilnehmenden ihre Körperwahrnehmung verbessern können. «Übergeordnetes Ziel der Yoga-mit-Stuhl-Stunden ist eigentlich, in einen Austausch und anderen Umgang mit sich selbst zu kommen. Es geht nicht mehr nur um Leistungsfähigkeit und Perfektion, sondern um innere Ruhe, Gelassenheit, Annahme.» Barbara Dehm spricht aus eigener Erfahrung, wenn sie sagt: «Im Altern entstehen neue Qualitäten. Es ist schön, diese Qualitäten zu entdecken, an ihnen zu arbeiten und sie in die Welt zu bringen.»