Für viele Chöre fällt der letzte Vorhang

Das Chorsterben ist in der ganzen Region zu beobachten. Bernhard Kamber, Präsident der ehemaligen «Badener ­Sänger», über die Gründe.
Bernhard Kamber (78) war bis 31. Dezember 2022 Präsident der Badener Sänger. (Bild: pg)

Nur wenige Chöre können sich über wachsende Mitgliederzahlen freuen. Im ganzen Kanton wurden in den vergangenen Jahren über fünfzig Chöre aufgelöst. Die Gründe sind so vielfältig wie der Chorgesang. Nebst dem fehlenden Nachwuchs wird es immer schwieriger, Mitglieder für ein Amt im Vorstand zu gewinnen. Zudem schwand der Durchhaltewille. Auch die Begleiterscheinungen der Corona-Pandemie haben den Mitgliederschwund befeuert und damit zu Auflösungen geführt. Der Verein «Badener Sänger» wurde per 31. Dezember 2022 aufgelöst. Der letzte Präsident, Bernhard Kamber, über die Gründe für das Chorsterben.

Bernhard Kamber, wie kamen Sie einst zum Chorgesang, und was ­bedeutet er Ihnen?
Im jugendlichen Choralter von vierzig Jahren wurde ich durch ein Mitglied der «Badener Sänger» ange­worben – zum richtigen Zeitpunkt, denn ich war familiär und beruflich geerdet. Ich suchte damals eine Freizeit­beschäftigung, die ich bis ins hohe Alter ausführen kann. Heute bin ich 78 Jahre jung. Die russischen Männerchöre wie der Don-Kosaken-Chor und speziell der russisch-orthodoxe Chorgesang haben mich immer fasziniert. Über all die Jahre bedeutete mir das Singen im Chor viel, denn erst das Zusammenwirken der einzelnen Register ergibt den harmonischen Gesang.

Warum sind Sie gerade den «Badener Sängern» beigetreten?
Der Verein war fünf Jahre vor meinem Beitritt aus der Fusion der drei Badener Männerchöre «Baden», «Harmonie» und «Frohsinn» entstanden. Er war damals ein «junger» Verein mit einem jungen, dynamischen Dirigenten und einem zeitgenössischen Namen.

Welche Rolle haben für Sie die Vereinsaktivitäten gespielt?
Für mich war sehr wichtig, dass stets zielgerichtet geprobt wurde. Nebst Konzerten und Auftritten waren gesellige Anlässe wie Sängerreisen, Familienanlässe, Badenfahrten und natürlich der Schlummertrunk nach den Proben sehr wichtige Bestandteile des Vereinslebens.

Welchen Stellenwert geniesst der Gesang in der Gesellschaft?
Die Bezirks-, Kantonal- und Eidgenössischen Gesangfeste werden vor allem von Chormitgliedern besucht; man ist unter sich, ganz im Gegensatz etwa zu Jodlerfesten. Da stellt sich auch die Frage, wie stark die Auflösung eines Vereins von Leuten ausserhalb als Verlust wahrgenommen wird. Obwohl auch die Kirchenchöre betroffen sind, kann ich mir einen Mitternachts- oder Ostergottesdienst ohne Kirchenchor noch nicht vorstellen; er ist für mich Bestandteil der Kirche!

Chorproben finden immer am gleichen Wochentag statt …
… das ist für mich kein Grund, einem Chor nicht beizutreten. Denn für einen geordneten Probenbetrieb braucht es diese klaren Vorgaben. Viele Menschen im Pensionsalter sehen darin eine nicht enden wollende Verpflichtung. Um das Publikum mit einem ansprechenden Konzert zu begeistern, müssen auch Projektchöre, welche sich zunehmender Beliebtheit erfreuen, regelmässig proben.

Per Ende Dezember wurden die «Badener Sänger» aufgelöst. Konnte der Chor die Ansprüche des Publikums noch erfüllen?
Das Repertoire umfasste ein breites Spektrum, und die Konzertprogramme entsprachen dem Zeitgeist. Als Stadtchor waren wir stark gefordert, denn das Angebot an Veranstaltungen war sehr vielfältig. Durch strukturierte Konzertprogramme und namhafte Solisten konnten wir unser Publikum aber immer wieder begeistern.

War es einfach, die finanziellen Mittel zu beschaffen?
Das war auch ein Grund für die Vereinsauflösung: Die Einnahmen sanken, während die Ausgaben konstant blieben. Dadurch entstand ein jährliches Defizit, und das Vereinsvermögen schmolz. Von der Stadt Baden erhielten wir einen projektbezogenen Konzertbeitrag – ohne Konzert also kein Beitrag!

Sind Projektchöre, Gastsänger oder Fusionen eine Option, um neue Mitglieder zu bekommen?
Darauf gibt es wohl keine eindeutige Antwort. Wir haben einiges unternommen. Der Erfolg war bescheiden. Um den Mitgliederstand zu halten, müsste jährlich ein Zuwachs von zehn Prozent angestrebt werden. Dank Grosskonzerten mit anderen Chören sowie Verpflichtungen von namhaften Solistinnen und Solisten wie zum Beispiel Noëmi Nadelmann, Simon Estes und Ivan Rebroff verzeichneten wir einen Mitglieder­zuwachs. Heute sind solche Grosskonzerte jedoch Wunschdenken.

Welche Erlebnisse bleiben Ihnen am besten in Erinnerung?
Die Konzertauftritte der Bucher-Chöre in der vollbesetzten Tonhalle Zürich waren spezielle Höhepunkte. Auch das Konzert «Schweiz-Amerika» im Jahr 2019 mit Adrian Stern, das wir vollständig auswendig gesungen haben: vierzehn teils mehrsprachige Lieder! Auf diese Chorleistung bin ich bis heute sehr stolz. Unvergessen bleiben auch die beiden mit dem Wettinger Männerchor Liederkranz für 2020 geplanten Abschiedskonzerte, welche wir erst im März 2022 durchführen konnten. Beschliessen möchte ich meine Ausführungen mit dem Refrain des Schlusslieds am Abschiedskonzert: «Alles geht einmal vorbei; so schön, schön war die Zeit.»