Wie das Birrfeld «auto-mobil» wurde

Um 1960 kaufte die Amag in Lupfig 165 000 Quadratmeter Land. Dort wird am modernsten Fahrzeuglogistikzentrum weitergebaut.
Der Amag-Neuwagenlagerplatz war 1964 der erste grosse Industriebetrieb in Lupfig. Seither hat sich das Unternehmen zu einem modernen technischen Servicezentrum und Dienstleistungsbetrieb entwickelt. (Bild: hpw)

Am Ende des Zweiten Weltkriegs setzte der 35-jährige Walter Haefner eine aussergewöhnliche Mobilitätsgeschichte in Gang. Er erwarb 1945 die in Konkurs geratene Amag Automobil und Motoren AG. Daraus entstand der heute grösste Schweizer Mobilitätsanbieter mit 7300 Mitarbeitenden. Ab 1948 importierte Haefner die ersten Volkswagen (VW) direkt vom deutschen Produktionswerk. Weil der Platz am Utoquai-Sitz in Zürich rasch zu eng wurde, kaufte der visionäre Unternehmer die stillgelegte Zementfabrik in Schinznach-Bad und baute sie in eine Montagehalle für Automobile um.

Schinznach entwickelte sich zum Zentrum der Amag-Importaktivitäten. Hier wurden ab 1949 die ersten Plymouth- und Standard-Limousinen zusammengebaut. Die Produktionspalette umfasste schliesslich dreizehn Modelle wie Chrysler, Dodge, Valiant, VW Karmann-Ghia, Studebaker. Der Aufdruck «Montage Suisse» bürgte für höchste Qualität. Zusätzlich zur Montage kamen alle importierten Fahrzeuge der Volkswagen AG nach Schinznach-Bad, bevor sie an die Händler ausgeliefert wurden. Aber auch hier wurden die Abstellplätze mit der wachsenden Mobilität knapp. Deshalb expandierte die Amag Anfang der 1960er-Jahre aufs Birrfeld.

Industrie ja, Arbeiter nein
Die Birrfeld-Gemeinden führten von 1946 bis 1956 Güterregulierungen durch. Unzählige Kleinparzellen wurden zu grösseren Grundstücken zusammengelegt. Das diente nicht nur der Landwirtschaft, wie sich bald zeigte, sondern beförderte – wohl unbeabsichtigt – ebenso die Industrialisierung in der «Kornkammer des Aargaus». Die Weltfirma Brown, Boveri & Cie. (BBC) nutzte die arrondierten Besitzverhältnisse jedenfalls sofort. Sie erwarb im Gemeindebann Birr mehrere Hektaren bestes Kulturland und begann 1957 mit dem Bau eines Fabrikkomplexes von schweizweit einzigartigen Dimensionen.

Der durch Hunderte neue Arbeitsplätze ausgelöste Entwicklungsboom in Birr weckte in der noch von Bauern- und Gewerbebetrieben geprägten Nachbargemeinde Lupfig Wachstumswünsche. Man fokussierte jetzt ebenfalls auf die Ansiedlung von Industriefirmen. Dafür wurde die freie Fläche vom östlichen Dorfrand bis zur Bahnlinie Brugg–Othmarsingen (Basel–Chiasso) beziehungsweise von der Bahnhofstrasse im Süden bis zur Fuchshalde im Norden ins Auge gefasst. Die neu geschaffene Industriezone ist inzwischen innerhalb von sechzig Jahren grösstenteils überbaut worden.

Mit ihrem Fabrikneubau plante die BBC zudem Personalwohnungen. Für entsprechendes Bauland klopfte sie in Lupfig an, blitzte jedoch ab, weil die Gemeinde aus steuerlichen und vielleicht auch politisch-sozialen Gründen an Firmen und weniger am «massenhaften Zuzug von Fabrikarbeitern» interessiert war. Deshalb kehrte die BBC nach Birr zurück und erstellte die Siedlung In den Wyden mit 500 Wohnungen. Immerhin kamen Lupfigs Industrieansiedlungspläne zügig voran, und zwar mit drei grossflächigen ersten Objekten: dem neuen Amag-Auslieferungszentrum1964, dem Fabrikationsbetrieb der Suhner AG 1966 und dem Sitz der Mühlebach Papier AG (heute Antalis) 1968.

Schützenhaus stand im Weg
Die Amag erwarb «In den Höfen», in der Nordostecke der neuen Lupfiger Industriezone, 165 000 Quadratmeter Kulturland, das bei der kurz zuvor abgeschlossenen Güterregulierung hauptsächlich den beiden Bauern Emil Renold und Paul Angliker aus Hausen zugeteilt worden war. Sie wurden mit Realersatz abgegolten. Der westseits an das Amag-Areal angrenzende Ziegelhof blieb bestehen. Der Zugang zu den Grundstücken erfolgte von der alten K118 Hausen–Mägenwil her auf der Höhe der heutigen Seebli-Center-Zufahrt über einen unbewachten Bahnübergang auf der noch einspurigen SBB-Linie Brugg–Othmarsingen.

Neben dem Bahnübergang stand das jahrzehntelang vom SBB-Arbeiter, Gemeinderat und Kunstturner Karl Meier mit Frau und Tochter bewohnte Bahnwärterhaus. An Haus und Garten vorbei floss aus dem Gebiet Birr das Bachthalen-Bächlein, bevor es in den Süssbach-Zufluss aus Scherz mündete. Im Zuge der Erschliessung des Amag-Areals mit einem Gütergleisanschluss wurden der Bach verlegt und das Bahnwärterhaus abgebrochen. Auch das Lupfiger Schützenhaus musste weichen, die Schützen wurden auf den Schiessstand Birr verwiesen.

Amag-Besitzer Walter Haefner hatte den neuen Fahrzeuglogistik-Standort mit Bedacht ausgewählt. Der Autoförderer setzte einmal mehr auf einen Bahnanschluss, wie er das schon am Standort Schinznach-Bad und später beim 1956 eröffneten Ersatzteillager in Buchs ZH tat. Auf dem Birrfeld zeichneten sich zudem nahe Anschlüsse an die bereits im Bau befindliche Autobahn A1 Bern–Zürich sowie an die vorgesehene und 1996 dem Verkehr übergebene A3 Zürich–Basel ab.

ga_b_birrf_die_flugkunst_hauser_3522

Das Bahnwärterhaus Seebli musste dem Gütergleisbau zum Amag-Areal weichen.

ga_b_birrf_die_flugkunst_wengi_3522

Bis Anfang der 1960er-Jahre wuchs auf dem späteren Autoumschlagplatz Getreide. (Bilder: zvg | L. Berner)

previous arrow
next arrow
Shadow

Vom Lagerplatz zum Servicecenter
1964 eröffnete die Amag den Neuwagenlagerplatz Birrfeld. Die grosse Abstellfläche erwies sich jedoch bald als zu klein. Deshalb wurde 1971 ein zweigeschossiges Parkhaus erstellt. Es gehörte mit 42 000 Quadratmeter zu den grössten Parkhäusern in der Schweiz. Haefner schwebte eigentlich noch ein viel kühneres Projekt vor mit einem mehrstöckigen Verwaltungsrundbau, einer Kuppel von 28 Metern Durchmesser, Grossraumbüros, Direktionsräumen, Ausstellungsraum, Hörsaal und Filmstudio sowie einem Motel mit Swimmingpool und Tennisanlagen.

Doch es blieb bei der Skizze des bekannten Zürcher Architekten Dr. Justus Dahinden. Die Administration, Verkaufs- und Schulungsräume wurden in Schinznach-Bad belassen – möglicherweise weil sich bereits die Stilllegung (1972) der nicht mehr konkurrenzfähigen eigenen Automontage abzeichnete.

Die Amag investierte am Standort Lupfig aber weiterhin kräftig. Der Umschlagplatz für 4000 Fahrzeuge wurde Schritt für Schritt in ein hochmodernes technisches Servicecenter und einen Dienstleistungsbetrieb, der jährlich bis zu 50 000 Zusatzaufträge erledigt, umgewandelt. Heute werden im Schnitt täglich über 300 Fahrzeuge oder rund 76 000 im Jahr aus 23 verschiedenen Fertigungsorten in Europa, Südafrika und Südamerika angeliefert – 70 Prozent per Bahn, Tendenz wegen Staus auf dem europäischen Schienennetz sinkend. In einem durchgetakteten Ablauf werden die Fahrzeuge verzollt, vom Transportschmutz gereinigt, auf Schäden kontrolliert und im Normalfall innert drei Tagen an den Handel ausgeliefert. 

60 Millionen neue Investitionen
Zurzeit werden in Lupfig weitere Investitionen im Umfang von 60 Millionen Franken umgesetzt. Das 2022 in Betrieb genommene neue Karosserie- und Lackcenter gehört zu den effizientesten und nachhaltigsten Anlagen seiner Art. Hier werden Schäden an ankommenden Fahrzeugen gleich vor Ort behoben. Modernste Technologie reduziert den jährlichen CO2-Ausstoss um 35 Tonnen, und eine Photovoltaikanlage auf dem Dach produziert 176 000 Kilowattstunden Strom, 80 bis 90 Prozent des Eigenbedarfs. Die Amag verfolgt die Strategie, bis im Jahr 2025 als Unternehmen klimaneutral zu werden.

Im Bau ist momentan ein Aus- und Weiterbildungszentrum der Amag Import AG mit Praxis- und Theorieräumen für technische Trainings, Produktschulungen, zertifizierte Lehrgänge und Weiterbildungen der ganzen Markenorganisation. Es umfasst unter anderem einen Werkstattbetrieb für Spezialreparaturen und ersetzt das veraltete Ausbildungscenter sowie das Technical Service Center in Schinznach-Bad. Wegen des Fachkräftemangels bilde die Amag-Gruppe Mitarbeitende vermehrt selbst aus, erklärt Marco Weber, seit dreissig Jahren sturmerprobter Amag- und jetzt Mobilog-Standortleiter Birrfeld mit rund hundert Mitarbeitenden oder, wie er in der Firmensprache heisst, Head of Car Logistic.

Geplant ist noch der Bau eines sechsstöckigen Autolagerhauses mit zwölf Ebenen für 2235 Fahrzeuge im Gebiet Fuchshalde, nördlich der Autobahn A3. Dort wurden in den letzten Jahren zeitweise rund 600 Autos im Freien abgestellt. Der umständliche Zugang auf Umwegen soll durch eine Direktverbindung zum Hauptareal mit einer gedeckten Brücke über die Autobahn ersetzt werden. Das Baugesuch lag vor Kurzem zum zweiten Mal auf, die Baubewilligung ist noch offen. Dem Vernehmen nach ging eine Einwendung der Aargauischen Gebäudeversicherung zu feuerpolizeilichen Massnahmen ein. Die ursprünglich für 2024 vorgesehene Fertigstellung dürfte etwas länger dauern.

Von der Amag zu Mobilog
Seit einigen Monaten prangt am Fahrzeuglogistikzentrum (FZL) Birrfeld ein neues Logo: Mobilog statt Amag – die Kombination aus Mobilität und Logistik. Die am 1. Januar 2021 offiziell gestartete Mobilog AG ist eine Tochterfirma der Amag. Sie verantwortet alle Logistikdienstleistungen der Amag-Gruppe. Dazu gehören neben den Fahrzeug-Logistik-Standorten in Lupfig und Studen BE das Teillogistikzentrum in Buchs ZH mit den drei Regionallagern in Daillens VD, Münchenbuchsee BE und Bioggio TI, fünf Räderhotels über die ganze Schweiz verteilt sowie Fahrzeug- und Transportdienstleister an mehreren Standorten.

Die Amag-Gruppe will nicht mehr allein Autohändlerin sein. Ab Mitte dieses Jahres bietet sie ganzheitliche Lösungen aus einer Hand für die E-Mobilität, inklusive Photovoltaikanlagen und Wärmepumpen sowie intelligentes Energiemanagement. Laut der Kommunikationsabteilung verfolgt die Amag das Ziel einer nachhaltigen individuellen Mobilität und Versorgungssicherheit auf der Basis einer erneuerbaren Energieproduktion in der Schweiz. Dazu zählen auch Solaranlagen auf den Dächern der Amag-Betriebe, ein eigenes Schnellladenetz und öffentliche Ladehäuser.