Sprachverhunzer*in

In der Rubrik «Querbeet» beleuchten namhafte Autorinnen und Autoren ein von ihnen gewähltes Thema – und sorgen damit wöchentlich für Inspiration.

Korrekte Sprache gibt zu reden. Und sie weckt grosse Emotionen. Vor allem bei jenen, die darunter leiden, dass man dieses und jenes «ja heute überhaupt nicht mehr sagen darf». Entspannen Sie sich! Wir dürfen sprechen, «wie uns der Schnabel gewachsen ist». Wörter, die uns lang begleitet haben, können wir nicht einfach wegdenken. Verständlicherweise. Sprache lässt sich nicht verordnen, sie ist etwas Dynamisches: Neue Begriffe bleiben hängen, andere verschwinden unmerklich wieder. Niemand von uns hat noch denselben Wortschatz wie mit achtzehn. Es kann sein, dass Begriffe, die Sie erst «cringe» finden, ein paar Jahre später «voll chilled» sind. Beeindruckend, was alles Einfluss auf unser Sprechen hat: Nicht nur Jugend- und Gruppenkulturen, auch das Bemühen um Sichtbarkeit und Respekt bildet sich sprachlich ab. Keine unverheiratete Frau ist heute noch ein «Fräulein». Das «Fräulein» ist zur Frau geworden, ohne dass uns das eine Obrigkeit verordnet hätte, dynamisch.

Dennoch höre ich oft, dass man uns vorschreiben wolle, wie wir zu sprechen hätten. Tatsächlich? Da werden aus wenigen amtlichen Mücken Sprachpolizei-Elefanten gemacht. Offensichtlich wirkt das Bemühen um eine nicht diskriminierende Sprechweise auf gewisse Leute provokativ. Es scheint, als wäre das Wort «Gender» ein ansteckendes Virus, und Menschen, die auf respektvolle Worte achten, «Sprachverhunzer». Jugendliche hören diesen Vorwurf kaum, denn hinter diesen Tendenzen steckt politisches Kalkül: Man möchte die Idee erzeugen, dass es eine überhebliche Elite gibt, um sich von diesen «Besserwissern» abzugrenzen. Wer sprachliche Diskriminierung vermeiden will, wird lächerlich gemacht, während Sexismus und Rassismus in rechten Kreisen als antielitär beklatscht werden. Sprache ist ein machtvolles Werkzeug. Sie beeinflusst unser Denken und Handeln. Durch Sprache kann man Vor-Urteile schaffen und ver­festigen oder aber zu mehr Offenheit und Respekt beitragen. Und: Je mehr Bewusstsein wir für die Wirkung von Wörtern entwickeln, umso freier können wir selbst entscheiden, in welche Richtung uns «der Schnabel wächst».

straussml@hotmail.com