«Es braucht unterschiedliche Lernsettings»

Am Montag beginnt für über 700 Lernende das erste Jahr an der Berufsfachschule BBB. Rektor Rolf Häner über die Generation Z, KI und Eltern.
Der gebürtige Schaffhauser Rolf Häner (57) ist seit 2017 Rektor der Berufsfachschule BBB. (Bild: is)

Rolf Häner, was geschieht am ersten Schultag an der BBB?
Es geht nicht gleich von null auf hundert. Nach der Begrüssung gibt es ein Spezialprogramm. Die Lernenden werden in die Infrastruktur der Schule und der IT eingeführt, und sie erhalten erste Aufträge. Einer davon ist, sich vorzustellen.

Haben sich die Berufseinsteiger in den letzten Jahren verändert?
Aus meiner Warte nicht so sehr. Ich beobachte sogar eine positive Entwicklung: Wie selbstbewusst Lernende mittlerweile auftreten und die Medien nutzen – sie können uns einiges vormachen. Hie und da gibt es zwar etwas mehr Schwierigkeiten beim Lernen, da die Berufslernenden den Ansprüchen nicht immer gewachsen sind.

Welche Indikatoren zeigen das?
Zum Beispiel das «Offene Ohr». Das ist ein niederschwelliges Beratungsangebot von zwei Lehrpersonen mit Zusatzausbildung für unsere Berufslernenden. Lernende können dort mögliche Lern- oder persönliche Schwierigkeiten, aber auch private Themen wie Probleme im Elternhaus ansprechen, ohne dass das zu einer medizinischen Abklärung führt. Eine aktuelle Auswertung zeigt, dass die Anzahl Beratungen konstant geblieben ist. Es besteht aus unserer Sicht kein akuter Handlungsbedarf. Generell sind unsere Lehrpersonen aber nah dran an den Jugendlichen, holen sie in Einzelgesprächen ab und koordinieren Unterstützung, wenn nötig.

Über die Generation Z wird häufig gesagt, sie wolle weniger arbeiten und mehr Freizeit. Stimmt das?
Diesen Trend spüren wir teilweise ebenfalls. Als Rektor von rund 2400 Lernenden und Vater von zwei studierenden Töchtern nehme ich jedoch ein viel positiveres Bild wahr. Ich spüre durchaus den Willen, die Dinge zu verändern und dranzubleiben, und erlebe in zahlreichen Diskussionen, dass die Bereitschaft vorhanden ist, Verantwortung zu übernehmen.

Stichwort Fachkräftemangel: Geht die Anzahl Lernender zurück?
Wir sind eine gewerblich-industrielle Berufsschule und bieten 23 Berufe an, darunter alle klassischen MEM-­Berufe und die Informatik, sie wächst am stärksten. Wir spüren einen Strukturwandel. Einzelne Branchen sind rückläufig.

Welche Berufe verlieren an Attraktivität?
Im Gastrobereich haben wir deutlich weniger Lernende als vor fünf oder zehn Jahren – die Arbeitsbedingungen dort sind anspruchsvoll. Und auch die Anzahl Lehrstellen ging zurück.

Gewisse Berufe verschwinden ganz. Was bedeutet das für die BBB?
Berufe wie den Feam (Fernmelde-, Elektro- und Apparatemonteur) oder den Konstruktionsschlosser gibt es nicht mehr. Das gilt ebenso für andere Berufe. Sie werden diversifiziert oder weiterentwickelt. Das fordert uns zusätzlich. Es gilt, unser Know-how bei den entsprechenden Berufsreformen einzubringen und die Reformvorhaben in Form neuer Lehrpläne umzusetzen. Das fordert uns. Zudem machen gesellschaftliche Veränderungen wie die Digitalisierung oder die künstliche Intelligenz (KI) auch vor der Schule nicht halt. Wir müssen immer «up to date» sein. Die Umsetzungsgeschwindigkeit hat dabei zugenommen: Früher hatte man genügend Zeit, um Konzepte zu schreiben und diese dann umzusetzen. Heute ist das nicht mehr möglich, wie das Beispiel KI zeigt: Sie wird von den Berufslernenden schon angewendet, bevor man überhaupt den Umgang mit der KI an der BBB diskutiert hat.

Wie sieht der Umgang an der BBB mit KI aus?
Wir haben uns entschieden, die Arbeit mit KI nicht zu verbieten, und Leitlinien zum Umgang mit KI geschaffen. Die Lernenden dürfen KI beispielsweise für Hausaufgaben nutzen. In Vertiefungs- und interdisziplinären Arbeiten müssen sie die Verwendung von KI im Sinne einer Quellenangabe deklarieren – wie andere Quellen auch. Wir empfinden es eher so, dass der Anspruch an die Lernenden dadurch höher wird. Was wir nicht akzeptieren, ist, wenn eine Arbeit ganz von KI geschrieben wird. Daneben haben wir an der BBB ein KI-Lab gegründet. Zwei IT-Lehrpersonen zeigen den Umgang und die Möglichkeiten von KI auf. 78 Teilnehmende haben sich bereits eingeschrieben und profitieren vom «Ausprobieren».

Nutzen Sie KI ebenfalls für Ihre Arbeit?
Natürlich! Für gewisse alltägliche Dinge ist es sehr effizient. Ein Beispiel ist die Weiterentwicklung des Jahresberichts der BBB in digitaler Form. Ich fragte im ChatGPT, wie dieser Bericht aussehen solle und welche Überlegungen ich dazu machen müsse. Innert zwei Minuten erhielt ich eine druckreife Zusammenfassung in Form eines 10-Punkte-Plans, für den ich normal eine Stunde gebraucht hätte. Das gilt allerdings nicht überall. Natürlich gibt es inhaltlich noch Qualitätsmängel. Man muss vorsichtig sein.

Sie selbst haben BWL studiert, Ihre Töchter studieren. Dennoch sind Sie ein Verfechter des dualen Bildungswegs. Warum?
Es braucht beides. Der gymnasiale Weg und die Berufslehre dürfen auf keinen Fall gegeneinander ausgespielt werden. Leider ist es jedoch zunehmend so, dass der sozioökonomische Hintergrund der Kinder und damit verbunden deren Eltern den Weg ins Gymnasium quasi vorgeben. Auch weil die Möglichkeiten und die Per­spektiven einer Berufsausbildung nicht erkannt werden. Talente und Fähigkeiten der Jugendlichen sollen den Ausschlag geben für die Wahl des Weges, nicht der Wunsch oder die Interessen der Eltern. Sind die Lernenden einmal bei uns, spüren wir die Eltern kaum mehr.

Trotzdem gibt es Elternabende.
Die sind sehr unterschiedlich gut besucht. Nicht alle Lernenden können auf die Unterstützung ihrer Eltern ­zurückgreifen. Gerade bei Attestlernenden würden wir einen vermehrten Austausch mit den Eltern begrüssen.

Warum?
Weil diese Lernenden in der Regel etwas mehr Unterstützung brauchen. So werden zum Beispiel die Automobilassistenten eine Woche vor den anderen in die BBB eingeführt, um besser zurechtzukommen. Bei den sprachlichen Fähigkeiten sowie der Selbst- oder der Auftrittskompetenz gibt es grosse Unterschiede unter den Lernenden. Manchen muss man noch erklären, wie man einen Computer einschaltet, andere werden vom Lehr­betrieb mit modernsten Geräten ausgestattet und gehen spielend damit um. Es braucht in Zukunft unterschiedliche Lernsettings. Eine Projektgruppe der BBB befasst sich derzeit mit Fragen wie: Muss man immer im Klassenverbund lernen, oder kann man das in Lerngruppen machen? Immer im Stundenplan oder auch asynchron? Dabei ist uns ganz wichtig, dass wir sämtlichen Berufslernenden angemessene Möglichkeiten bieten und sie fördern können. Wir müssen alle mit auf den Weg nehmen.

Wie viele von den Lernenden, die nun anfangen, bleiben nach Lehrabschluss tatsächlich im Beruf?
Statistiken zeigen, dass ein grosser Teil der Erwerbstätigen nicht in seinem angestammten Beruf arbeitet.

Nun sind Sie Präsident des Bildungsnetzwerks Aargau Ost und seit diesem Jahr Präsident der Schweizerischen Direktorinnen- und Direktorenkonferenz der Berufsfachschulen (SDK). Woher nehmen Sie die Zeit für diese Mandate?
Es ist sicher anspruchsvoll. Es ist Teil meines Jobs bei der BBB, die Inte­ressen der BBB nach aussen zu tragen und sich in Netzwerken zu engagieren. Wir müssen noch stärker über die Institutionen hinaus zusammenarbeiten. Beispielsweise beim Ausarbeiten von Unterrichtsmaterialien, Lernsettings und Ähnlichem – hier wurde zu lang nur in den eigenen vier Wänden gedacht.

Bald ist Badenfahrt – werden Sie als Schaffhauser ans Fest gehen?
Mittlerweile habe ich eine Dependance im Bäderquartier, wo ich in der Regel unter der Woche bleibe. Kürzlich habe ich festgestellt, dass ich während der Badenfahrt zehn Tage mittendrin im Geschehen bin. Ich werde sicher mehr als einmal am Fest unterwegs sein. Ich fühle mich in Baden sehr wohl und spüre grosses Vertrauen des Schulvorstands und der Mitarbeitenden der BBB. Dafür bin ich sehr dankbar.