Und was leben Sie so?

In der Rubrik «Querbeet» beleuchten namhafte Autorinnen und Autoren ein von ihnen gewähltes Thema – und sorgen damit wöchentlich für Inspiration.

Es ist doch immer wieder erstaunlich, was man mit der Sprache alles anstellen kann. Da schrieb eine Automarke lang allen Ernstes: «Wir leben Autos.» Und eine andere noch heute: «Wir leben Vorsprung.» Für mich, biologisch betrachtet, eine echte Herausforderung. Dachte ich – und vergass es wieder. Doch dann entdeckte ich auf einem Lastwagen: «Wir ­leben Logistik!» – Boah, also noch einer! Das weckte natürlich meine Neugier, und beim Googeln wird einem ja fast schon trümmlig, was da alles «gelebt» wird. In Deutschland: «Wir leben Apotheken.» Die Syngenta: «Wir leben Getreide.» Hiestand: «Wir leben Backwaren.» Die Stadt Luzern: «Wir leben Klimaschutz.» Büro Sona: «Wir leben Büromöbel.» Der EHC Düben­dorf: «Wir leben Eishockey.»Indurance: «Wir leben Trailrunning.» Wen überrascht es da noch, dass einige Firmen auch den Servicegedanken «leben»?

Man lebt also neuerdings Holz, Stein, Haus, Pizza, Technik – was immer irgendwie «lebens-»wert erscheint. Da kommt unsereins schon ins Grübeln. Was lebe ich – was leben Sie eigentlich? Sollte ich mir nicht auf die Fahne schreiben?: «Ich lebe Texte.» – Vor dem geistigen Auge geht jedenfalls schon eine Welt auf, und wie man die Werbebranche kennt, wird irgendwann an jedem Laden der Slogan prangen: «Wir leben Brot.» – «Wir leben Fleisch.» – «Wir leben Käse.» (Man muss das dann ja nicht allzu wörtlich nehmen.) Ob ich aber immer noch zum Zahnarzt gehe, wenn da steht: «Wir leben Zähne.» Oder zum Coiffeur: «Wir leben Haare.»

So bekommt das Leben also dank dieser unglaublich kreativen Werbung plötzlich doch noch einen tieferen Sinn. Und wir sind alle auf­gerufen, aus den alltäglichen Dingen etwas wirklich Lebensnahes zu machen. Spätestens aber dann, wenn ein Bestattungsunternehmen schreibt: «Wir leben das Ableben!», werde ich eine Petition lancieren, um diese zwiespältige Formulierung wieder abzuschaffen. Bis dahin bleibt mir nur der Wunsch an Sie, was immer Sie auch «leben»:
Leben Sie wohl!

ernst.bannwart@bluewin.ch