Kreativer Rückzugsort an der Limmat

Das Oederlin-Areal beherbergt regelmässig Tanzkompanien von Weltformat. Auch weil es in dem Bereich nur wenige Alternativen gibt.
Die Beaver Dam Company probt unter der Leitung von Edouard Hue (rechts) für das Stück «Dive». (Bild: zVg)

Das Residenzzentrum Tanz+ im Obersiggenthaler Ortsteil Rieden wurde im Jahr 2020 von der Choreografin und Künstlerischen Leiterin von Tanz & Kunst Königsfelden, Brigitta Luisa Merki, gegründet. Es ist ein Betriebsbereich unter dem Dach der Kultur­institution Tanz & Kunst Königsfelden, der im Oederlin-Areal eigene Studios und ein Gästehaus für Tanz, Choreografie, Musik und Performing Arts betreibt. Wenn diese nicht für eigene Produktionen benötigt werden, werden die Räume während mehrerer Monate an Kunstschaffende aus der Schweiz und Europa vergeben. «Das Residenzzentrum ist ein relativ abgeschotteter Kreativort und deshalb sehr beliebt. Wir erhalten Anfragen aus ganz Europa, weil solche Orte in diesem Bereich einfach fehlen», beschreibt die Kommunikationsverantwortliche Nadine Sakotic die Rolle des Zentrums. «Leider ist es für freischaffende Künstlerinnen und Künstler immer noch schwierig, geeignete Proberäume zu finden. Deshalb sind unsere Residenzen so beliebt.»

Die Dossiers der Gesuchstellenden werden von einer internationalen Fachjury geprüft, und zwar stets unter Berücksichtigung von regionalen, nationalen und internationalen Kunstschaffenden und Projekten. «Die Künstlerinnen und Künstler kommen meist für zwei bis drei Wochen hierher, um an der Umsetzung ihrer Projekte zu arbeiten und diese zu vervollkommnen», erläutert Nadine Sakotic. «Wir hatten schon Gruppen, die hier Stücke einstudiert haben, die danach in Paris gezeigt wurden.» Zurzeit läuft die Anmeldefrist für Residenzen von Ende September 2024 bis Ende Februar 2025. Brigitta Luisa Merki wird die künstlerische Leitung von Tanz & Kunst Königsfelden im Januar 2024 an den Choreografen Filipe Portugal, ehemals Principal Dancer und Solist beim Ballett Zürich, übergeben.

Beaver Dam Company
Gerade wohnt der französisch-schweizerische Choreograf und Tänzer Edouard Hue mit den Mitgliedern der Beaver Dam Company im Gästehaus des Residenzzentrums, in dem bis zu zwölf Personen Platz finden. Er studiert mit seiner Kompanie das Stück «Dive» ein, das dank einer Kooperation des Residenzzentrums mit dem Kurtheater Baden am Freitag, 20. Oktober, in der Bäderstadt uraufgeführt wird, bevor er anschliessend damit auf Tournee geht, wo das Stück unter anderem in der Reithalle Aarau und am Tanzfestival in Olten gezeigt wird. Mit diesem Werk eröffnet das Kur­theater Baden die neue Spielsaison.

Diese Zusammenarbeit verdeutlicht den Wert des Residenzzentrums Tanz+ für den regionalen und nationalen Kulturplatz. «Während ihren Residenzen bieten zudem alle Kunstschaffenden mit Showcases Einblicke in ihren Schaffensprozess, die im Theater im Kornhaus, im Kurtheater oder im Aargauer Kunsthaus stattfinden. Das sind sehr niederschwellige und kostenlose Angebote, die ein diverses Publikum erreichen», so Sakotic.

Edouard Hue wurde bei den Schweizer Tanzpreisen 2019 als «Heraus­ragender Tänzer» ausgezeichnet. Ursprünglich kam der französisch-schweizerische Doppelbürger über das Basketballspielen in Kontakt mit der Hip-Hop-Szene und dadurch zum Tanz. Er entdeckte seine Leidenschaft für diese Kunstform und absolvierte später eine Ausbildung an der Ecole de Danse Genève und beim am Ballet Junior de Genève. Im Laufe der Jahre wurde Edouard Hue vom Tänzer zunehmend zum Choreografen. Als Leiter der 2014 gegründeten Beaver Dam Company mit Sitz in Annecy (F) und Genf entwickelte er schnell seinen eigenen Stil, eine Mischung aus beherrschter Virtuosität und schelmischer Spontaneität. Inzwischen hat er als Choreograf diverse Solo-, Duett- und Gruppenstücke im Repertoire, und seine Produktionen erreichen ein internationales Publikum.

In die Kreativität eintauchen
Für seine aktuelle Produktion «Dive» verzichtet Edouard Hue auf einen Vorhang, stattdessen wird das Stück auf einem «Mirror Dance Floor» – einer spiegelnden Tanzfläche – aufgeführt. «Die Idee hinter dem Stück ist, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer komplett in den kreativen Prozess eintauchen können», erklärt Hue, der sich für seine Produktionen oft von seinem Instinkt leiten lässt. Die kreative Ergründung dieser angeborenen Empfindung, die dem Choreografen als Entscheidungshilfe und Quelle von Inspiration dient, ist es, die Edouard Hue bei seinem Schaffen antreibt. Auch die neue Kreation von Edouard Hue ist folglich eine Erforschung der Ursprünge der Intuition und ihres Einflusses auf unsere Entscheidungen. «Derzeit habe ich die Musik und mehr als genug fertige Bewegungsabläufe für das Stück», erklärt der Choreograf. Um aus diesen beiden Bestandteilen ein fertiges Ganzes zu machen, ist das Residenzzentrum Tanz+ geeignet wie kaum ein anderer Ort in der Schweiz.