Ein anspruchsvolles Rebjahr

Winzermeister Pirmin Umbricht muss beim Pinot noir 50 Prozent der Ernte vernichten. Auch in anderen Regionen fällt die Ernte magerer aus.
Kirschessigfliege und Kälteperiode sorgen für weniger Ertrag bei Umbricht Weine. Pirmin Umbricht prüft die beschädigten Reben am Siggenberghang. (Bild: is)

Pirmin Umbricht nimmt eine Weintraube in die Hand, und sofort fallen einige Beeren ab. Die Früchte, die nun zum Vorschein kommen, sind weich und matschig, vielfach heller als die übrigen. «Die sind alle unbrauchbar», stellt der Winzermeister aus Untersiggenthal fest. Am Südhang des Aargauer Siggenbergs baut er auf drei Hektar neun Traubensorten an. Vor allem die Sorte Pinot noir hat dieses Jahr gelitten. Ein Grund dafür ist die Kirschessigfliege (KEF) oder Drosophila suzukii – eine enge Verwandte der «Frucht­mücke» Drosophila melanogaster. Der aus Südostasien eingeschleppte Schädling befällt primär dunkle Traubensorten wie den Blauburgunder. Das Weibchen bohrt ein Loch in die Fruchthaut, um seine Eier abzulegen. Die Larven ernähren sich vom Fruchtfleisch. Die Trauben werden weich und matschig, oft verfaulen sie durch Sekundärinfektionen. Der saure (Essig-)Geruch zieht weitere KEF an. Eine Bekämpfung ist fast unmöglich, da der Schädling keine natürlichen Feinde hat und sich sehr schnell vermehrt.

Das feuchtwarme Klima im Hochsommer begünstigte den Befall. «Zuerst befällt die KEF Brombeeren, dann Kirschen und Zwetschgen und im Herbst die Trauben», weiss Pirmin Umbricht. Zwei Wochen nach der Badenfahrt bemerkte er, dass mit seinen Trauben etwas nicht stimmte. Vier Tage später war es schon zu spät. Das vorherige Spritzen mit dem schadstofffreien Mittel Surround hätte prophylaktisch wirken sollen: Der kalkig-weisse Wirkstoff Kaolin, ein Zweischichttonmaterial, hält Insekten ab, die hauptsächlich die blauen Trauben befallen. Umbricht sagt: «Eigentlich hätten wir sofort mit der Ernte beginnen müssen, aber die Trauben waren noch nicht reif.»

Kleine Fliege, grosser Schaden: Von der Kirschessigfliege befallene Trauben, die mit Kaolin besprüht wurden. (Bild: is)

Doppelte Arbeit, halber Ertrag
Deshalb mussten die befallenen Stellen von Hand herausgeschnitten werden. «Wir hatten sehr viel Aufwand. Schade für unsere vielen Helfer, aber auch für das Potenzial: Es wäre ein schöner Wein geworden», ist der Winzer überzeugt. Er schätzt den Ausfall auf circa 25 Prozent, «je nach Standort». Und natürlich frage er sich, was er falsch gemacht habe: «Hätte mehr Auslauben etwas genützt?» Die KEF hält sich eher an schattigen Orten auf. Das Auslauben sei immer eine Gratwanderung – nehme man zu viele Blätter weg, fehlten sie der Rebe für die Photosynthese. Eine Kälteperiode Anfang September sorgte ausserdem dafür, dass weitere 25 Prozent seiner Pinot-noir-Trauben unreif blieben. «Sie befanden sich zu diesem Zeitpunkt im Farbumschlag. Bei grösseren Temperaturschwankungen in diesem Stadium kann es sein, dass sie wegen Nährstoffmangels in der Reifung stehen bleiben.» Diese Trauben bleiben hellrot und sauer – ebenfalls unbrauchbar.

Die KEF trieb zudem in anderen Weinbauregionen ihr Unwesen. «Die Pinot-noir-Reben waren dieses Jahr anspruchsvoll, wir hatten viele Essigbeeren», bestätigt Adrian Hartmann aus Oberflachs, der auf seinem Weingut im Schenkenbergertal sieben Traubensorten pflegt. «Anfangs befürchteten wir ebenfalls, dass wir es mit der KEF zu tun haben», so der Winzer. Im Verlauf der Ernte habe man aber festgestellt, dass es nicht so schlimm sei. Hartmann glaubt, dass in seinem Rebberg eher die einheimische Essigfliege am Werk war, die im Unterschied zur asiatischen nur bereits beschädigte Beeren befällt, weil sie kein Schneidewerkzeug besitzt. «Durch das schöne Wetter wurden im Frühling sehr viele Beeren befruchtet. In den engbeerigen Pinot-noir-Klonen sind Verletzungen häufiger», so Hartmann. Für seine These spricht ausserdem, dass der Befall stabil blieb und nicht epidemieartig anstieg, wie es bei der Drosophila suzukii der Fall ist.

Hagel im Juni
Weil Ende Juni einmal Hagel fiel, ist der Ertrag aber auch auf Hartmanns Weingut etwas kleiner als sonst. «Dank dem schönen Wetter haben sich die Reben jedoch super erholt, darüber waren wir sehr froh», so der Winzer. Er erwartet bis jetzt einen sehr guten Jahrgang mit «eleganten, ausgewogenen Weinen».

In Birmenstorf habe man einen unterschiedlichen Befall durch die KEF festgestellt, sagt Michael Zehnder von der Ortsbürgerkommission, die einen eigenen Rebberg bewirtschaftet. «Zudem haben wir dieses Jahr vor allem beim Pinot noir das Phänomen, dass manche Triebe lahm waren», so Zehnder. Vermutlich handle es sich um Hitzeschäden, die im September bei Temperaturen von über 30 Grad entstanden seien, «wahrscheinlich durch allfälligen Trockenstress verstärkt». Zusammenfassend sei die Ernte 2023 betreffend Ertrag und Qualität jedoch gut bis sehr gut. «Nur der Aufwand für die Lesearbeiten war im Vergleich zu anderen Jahren hoch», so Zehnder.

Rückstände unbedenklich
Bei Weinstern war die KEF kein grosses Thema mehr. Sie sei schon vor einigen Jahren nach Wettingen gekommen, «und mittlerweile haben wir gelernt, mit diesem Schädling zu leben», so Roland Michel, Verwaltungsratspräsident der Weinstern AG und Präsident des Branchenverbands Aargauer Wein. Die Ernte 2023 sei bereits im Keller. «Unsere 13 Winzer sind sehr zufrieden: gute Qualität, gute Menge, guter Jahrgang.» Bei Wein & Gemüse Umbricht sind die Pinot-noir-Trauben ebenfalls bald gelesen. Die verschonten Weintrauben können übrigens trotz der weissen Kaolinrückstände für die Kelterung verwendet werden. Gemäss Hersteller verändert das seit 2017 in der Schweiz zugelassene Mittel Surround den pH-Wert der Trauben nicht. «Es ist unbedenklich und hat keine negativen Auswirkungen auf die Weinqualität», bestätigt Pirmin Umbricht. Er ist zuversichtlich, dass der aktuelle Jahrgang trotzdem gut wird – nach dem Motto «klein, aber fein».

Obwohl 2023 ein forderndes Rebjahr war, sind sich alle Beteiligten einig: «Mit solchen Dingen muss man als Winzer umgehen können, es ist ein Naturprodukt, und jedes Jahr ist anders.»