«Harry hat Unglaubliches geleistet»

Im «Bären» hat eine neue Ära begonnen. Der neue Küchenchef Sylvain Momberger (49) hat an den besten Adressen in der Schweiz gekocht.
Kochte schon in top Restaurants: Der Unterwalliser Sylvain Momberger. (Bild: zVg)

Am späten Nachmittag herrscht im «Bären» Ruhe vor dem Sturm. Sylvain Momberger und Beatrice Pfändler sitzen am runden Holztisch und philosophieren über Michelin-Sterne und Gault-Millau-Punkte. Bis vor Kurzem hatte das über 200-jährige Restaurant im alten Dorfkern 14 Gault-Millau-Punkte. Mit dem überraschenden Rückzug von Patron Harry Pfändler aus gesundheitlichen Gründen Ende Juni verschwand es aus dem Restaurantführer. Die letzten Monate waren turbulent. «Harry war ein richtiges Alphatier. Dass er aufhörte, war für die Leute ein Schock», erzählt die Gastgeberin, die mit ihrem Mann 21 Jahre lang das Haus führte. «Hier war die Hölle los. Alle wollten nochmal zum Essen kommen.» Sylvain Momberger nickt. Dem 49-jährigen Unterwalliser ist bewusst, dass er ein schweres Erbe antritt: «Harry hat Unglaubliches geleistet. Er ist eine Maschine.»

Für Beatrice Pfändler war bald klar, dass sie ohne ihren Mann weitermachen wollte – und nur ein Spitzenkoch in dessen Fussstapfen treten konnte. In Momberger hat sie einen Chefkoch gefunden, der aus einer Gastronomiefamilie stammt und in einigen der besten Häuser der Schweiz tätig war: Er war Chefkoch in der «Blauen Ente» in Zürich, im privaten Club zur Geduld in Winterthur und im «Clouds», dem Restaurant im 35. Stock des Prime Towers in Zürich. Als junger Chef de Partie Rôtisseur hat er zudem einige Monate unter dem legendären 3-Sterne-Koch Philippe Rochat im Hôtel de Ville in Crissier gearbeitet.

Achtung, Grossstadt!
Direkt nach der Lehre in Montreux bekam Sylvain Momberger eine Stelle beim Zürcher 5-Sterne-Luxushotel Baur au Lac. Er war gerade 18. «Meine Freunde warnten mich vor der Grossstadt», erzählt der Romand, der im 2000-Seelen-Dorf Vouvry aufgewachsen ist. In Zürich arbeitete er sich vom Commis bis zum Souschef hoch. «Es war eine unglaubliche Zeit», sagt er, «wie eine zweite Lehre. Ich habe sehr viel über die Struktur der französischen Küche, die Abläufe und Nobelprodukte gelernt.» Geld spielte keine Rolle, doch in der 42-köpfigen Küchenbrigade herrschte eine strenge Hierarchie. «Es war eine harte Schule. Aber ich habe immer noch Freunde dort.»

Im «Baur au Lac» lernte Momberger seine spätere Frau kennen, die dort als Gouvernante arbeitete. Als ihr gemeinsamer Sohn auf die Welt kam, beschloss der Spitzenkoch, sich neu zu orientieren, um als Vater präsent zu sein. «Denn das habe ich selbst nie erlebt. Mein Vater war auch Koch, in einem gutbürgerlichen Restaurant, und wir Kinder haben ihn praktisch nie gesehen.» Er heuerte bei den Catering-Services der Migros an.

Immer wieder dazugelernt
Die neue Aufgabe sei unternehmerisch sehr interessant gewesen, «und ich lernte viel über Mitarbeitermanagement – wie wichtig zufriedene Mitarbeiter sind.» Doch mit Corona war Schluss: keine Events, kein Catering. Er wechselte in die Produktion, wo er Matthias Keller kennenlernte, den heutigen Pächter des Waldgasthofs Baldegg in Baden. Inzwischen hatte Mombergers Frau einen Job am Flughafen Zürich, der Sohn absolvierte eine Lehre als Hotelkommunikationsfachmann. «Ich sass am Wochenende meistens allein zu Hause», erinnert sich Momberger. Als Matthias Keller ihm den Job als Chef de Cuisine in der neuen «Baldegg» anbietet, überlegt der passionierte Koch nicht zweimal: «Ich wollte es nochmal wissen.»

In der «Baldegg» passte es nicht
Auf dem Badener Hausberg hilft Momberger beim Aufbau für den Neustart der «Baldegg». Doch nach der Eröffnung im März 2023 merkt er schnell, dass er eine andere Vision hat: «Die ‹Baldegg› ist und bleibt ein Ausflugsrestaurant, hier haben die Teller doppelt so viel Volumen.» Sobald der Betrieb stabil ist, kündigt er. «Wir gingen im Guten auseinander.»

Momberger schickt sein Dossier einem Headhunter, dieser stellt den Kontakt zum «Bären» in Birmenstorf her. «Hier hat alles sofort gepasst, sowohl menschlich als auch vom Haus her – es erinnert mich an die ‹Geduld› in Winterthur, die sich ebenfalls in einem historischen Gebäude befindet», schwärmt der Unterwalliser. Beatrice Pfändler bestätigt: «Harry sagte sofort nach dem ersten Treffen, Sylvain sei sein Traumkandidat. Die beiden haben sehr viele Gemeinsamkeiten, sind sehr ehrgeizig und wussten schon als Vierjährige, dass sie Koch werden wollten.» Mit dem Einverständnis der Besitzerfamilie Zehnder konnte der «Bären» nun in die Ära «nach Harry Pfändler» geführt werden. Im August pausierte das Restaurant, eine GmbH wurde gegründet, und die Rollen wurden neu verteilt – mit Beatrice Pfändler als Geschäftsführerin. Seit September ist das Gasthaus wieder geöffnet. Anfang Oktober stiess mit Simon Huber von der «Oberstadt» ein neuer Souschef dazu, und seit Dienstag wird nach der neuen Karte gekocht, die Sylvain Mombergers Handschrift trägt. Die Rückkehr in den «Gault-Millau» dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Zu viele Punkte sollen es jedoch nicht sein, so Beatrice Pfändler: «Ab 15 Punkten kommen ganz andere Gäste. Wir wollen weiterhin eine stilvolle und gutbürgerliche Küche bieten, aber auch ein Restaurant für das Dorf sein. Das ist ein schöner Spagat.»