Nachdem 1971 das Frauenstimmrecht im Kanton Aargau eingeführt worden war, wurde die Pfarrfrau von Obersiggenthal, Verena Müller-Kiener, aus eigenem Antrieb Mitglied der Evangelischen Volkspartei (EVP). Weil 1973 ihre Wohngemeinde erstmals den Einwohnerrat wählte, suchte sie geeignete Kandidierende. Dazu gehörte Lisa Wälchli-Glauser. Für sie war es selbstverständlich, dass das Stimmrecht auch erforderte, sich für öffentliche Ämter zur Verfügung zu stellen. Die zwei Frauen wurden auf der Liste der EVP gemeinsam mit einem Mann ins Gemeindeparlament gewählt.
Während Verena Müller-Kiener später Grossrätin wurde, wurde Lisa Wälchli-Glauser 1977 auf Vorschlag der EVP als Mitglied des Bezirksgerichts Baden gewählt. Da sie sehr belesen war, fiel es ihr nicht schwer, die Gerichtsakten zu verstehen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Dem Bezirksgericht Baden gehörte sie während zwölf Jahren an. In den letzten Jahren war sie Vizepräsidentin ihrer Abteilung und übte auch Funktionen als Einzelrichterin sehr kompetent aus. Mit 65 Jahren wollte sie mit ihrem Ehemann die neue freie Zeit nutzen. Als sie ihre Tätigkeit als Richterin beendete, sagte sie mir ausdrücklich, dass für sie das Amt als Richterin die Erfüllung ihres Wunsches gewesen sei, Juristin zu werden. Der EVP war sie dankbar, für dieses Amt vorgeschlagen worden zu sein. Als junge Frau wurde ihr nämlich zu verstehen gegeben, dass Frauen nicht Juristinnen werden sollten.
Bereits 1973 war Heidi Schwarz (SP) Richterin am Bezirksgericht Baden. Als Lisa Wälchli-Glauser dazukam, ging man davon aus, dass in jeder der beiden Abteilungen eine Frau tätig sein würde. Da in der einen Abteilung jedoch die Richter in der Mittagspause zusammen jassten, kamen die zwei Frauen trotzdem in die gleiche Abteilung. In der Mittagspause besorgten Heidi Schwarz und Lisa Wälchli-Glauser Einkäufe, da sie beide Ehefrauen und Mütter waren.
Lisa Wälchli-Glauser wuchs im Kanton Bern auf und besuchte die Schulen in Burgdorf. Sie studierte Anglistik, weil ihr die englische Sprache und Grossbritannien viel bedeuteten. Sie schloss mit dem Dr. phil. ab. Ihre Arbeitsstelle fand sie in der BBC Baden, wo in der Bibliothek für die technischen Themen hervorragende Kenntnisse der englischen Sprache gefordert waren.
In Baden lernte sie den diplomierten Ingenieur Hans Wälchli kennen. Sie heirateten und führten bis zu seinem Tod im Jahr 2006 eine glückliche Ehe. Den beiden wurden eine Tochter und ein Sohn geschenkt. Tochter Barbara wurde Rechtsanwältin wie die Mutter, Sohn Peter Ingenieur wie der Vater. Lisa Wälchli-Glauser freute sich auch an den Enkelkindern Denise und Florian.
Solange es möglich war, lebte Lisa Wälchli-Glauser nach dem Tod ihres Ehemanns in ihrem Einfamilienhaus. Sie entschied sich schliesslich, in eine Alterswohnung zu ziehen. Nur die allerletzte Zeit musste sie im Pflegeheim Gässliacker verbringen. Bis zu ihrem Tod war Lisa Wälchli-Glauser geistig präsent und las ihre geliebten Bücher.
Lisa Wälchli-Glauser, eine immer positiv denkende Frau, fürsorglich und loyal, durfte ein erfülltes Leben führen. Die Trauerfeier fand am
18. Oktober in Obersiggenthal statt.
Heiner Studer, alt Nationalrat (EVP), Wettingen