Quo vadis, Bibliothek Turgi?

Seit 95 Jahren gehört die Bibliothek zum Turgemer Dorfleben. Nach der Fusion mit Baden ist ihr Fortbestehen im «neuen Stadtteil» ungewiss.
Das Team der Bibliothek zusammen mit Gemeinderätin Pascale Marder Vögele (im gelben Sessel). (Bild: mpm)

Am vergangenen Freitagabend ist die kleine Bibliothek in Turgi ungewohnt voll. Gut 50 Personen stossen bei einem Bücherapéro auf das 95-jährige Bestehen der Dorfbibliothek an und werfen gleichzeitig einen Blick in ihre Zukunft. 1928 von zwei Herren als einfache «Lesestube» im Café ­Miotti an der Poststrasse gegründet, hat die Bibliothek in der Vergangenheit mehrere Wandel durchgemacht und ist heute ein Verein mit stattlichen 280 Mitgliedschaften (darunter zahlreiche Familien) und etwa 10 000 ausgeliehenen Medien pro Jahr.

Mit der Gemeinde Turgi besteht eine Leistungsvereinbarung. Die Stadt Baden, mit der die Gemeinde Turgi per 1. Januar 2024 fusioniert, hat sich verpflichtet, diese Verein­barung zunächst zu übernehmen. Aber, wie Gemeinderätin Pascale Marder Vögele erklärt: «Wir gehen davon aus, dass die Stadt Baden die Vereinbarung fristgerecht, das heisst auf Ende 2025, kündigt.» Denn die Kosten der Bibliothek belaufen sich auf rund 55 000 Franken jährlich – ein Betrag, den Baden voraussichtlich nicht weiter zu zahlen bereit sein werde.

In einem Ausblick schilderte die unter anderem für das Ressort Kultur, Jugend und Familie zuständige Gemeinderätin verschiedene Zukunftsszenarien: Zum einen könnte sich die Bibliothek Turgi als «Satellit» be­ziehungsweise Aussenstandort der Stadtbibliothek Baden positionieren. Die Stadt Baden habe hierzu jedoch bereits eher Ablehnung signalisiert. Zum anderen steht eine Fusion mit der zukünftigen Schulbibliothek zur Diskussion, denn eine solche muss die Stadt Baden in Turgi führen. Das würde jedoch bedeuten, dass der Zugang auf Schüler und Schülerinnen beschränkt würde, was nicht das Ziel einer öffentlichen Dorfbibliothek sei. 

Bauernhaus als Begegnungsort
Die dritte Option wäre eine Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden wie Gebenstorf oder Untersiggen­thal. Ein grosser Teil des Benutzerkreises stammt aus diesen Gemeinden. Ob die Politik hier jedoch mitspiele und in welchem Rahmen das möglich sei, sei unsicher. Schliesslich bestünde die Möglichkeit, dass die Bibliothek Teil eines sogenannten Third Place werde. Dieses Modell aus der Soziologie hat den Grundgedanken, einen Ort zu schaffen, an dem man sich ausserhalb der zwei üblichen Plätze des täglichen Lebens – des ­Zuhauses und des Arbeitsorts – aufhalten kann, eben an einem «dritten Platz». Erste Erfahrungen zu diesem Modell werden in Baden mit dem Projekt «Quartierzentrum Gärtnerhaus» gesammelt.

Der Vorteil eines solchen Vorgehens liegt für das Dorf mit dem vielfältigen Turgemer Vereinsleben auf der Hand: Synergien können genutzt werden, indem ein Ort gleichzeitig als Probelokal, Bibliothek, Jass-, Spiele- und Kursraum, Jugendtreff, Café und vieles mehr fungiert. Die Idee stösst auf reges Interesse und Zustimmung. «Die Bibliothek ermöglicht zudem soziale Kontakte», so ein Votum aus dem Publikum, «das wäre an einem solchen Ort ebenfalls möglich.»

Als Lokalität dränge sich das Bauernhaus an der Limmat auf. Der Dorfverein Turgi lädt deshalb am 8. November um 18 Uhr im Bauernhaus zu einer Veranstaltung ein, um die Gedanken um das markante Gebäude als kulturelles und gesellschaftliches Zentrum des neuen Stadtteils Turgi vorzustellen.

Viel Engagement und Arbeit
Eines ist allen Anwesenden an diesem Abend aber klar: Es braucht viel Engagement, um das Fortbestehen der Bibliothek Turgi zu gewährleisten, und es braucht Personen, die gewillt sind, diesen Effort zu leisten. Die Bi­bliothek in der heutigen Form wird es wohl nicht mehr geben. «Aber der Grundgedanke der Bibliotheken, Bücher zu teilen, statt sie zu besitzen, ist im Kern heute wieder modern und aktuell», ist Pascale Marder überzeugt. Und, wie ein Mann aus dem Publikum meint: «Wo ein Wille ist, ist ein Weg.»