«Da ist ordentlich was los auf der Bühne»

Der gefeierte Schauspieler Devid Striesow, der einem breiten Publikum als «Tatort»-Kommissar bekannt wurde, tritt im Kurtheater auf.
Devid Striesow liest im Kurtheater aus den Werken des Bieler Schriftstellers Robert Walser. (Bild: zVg | Edith Held)

Devid Striesow, Sie sind seit zehn Jahren mit den gleichen professionellen Schauspielern und Schauspielerinnen auf Tournee. Wo liegt die Magie in dieser Zusammenarbeit?
Thorsten Lensings Regiestil ist so, dass er Ursina Lardi, Sebastian Blomberg, André Jung und mir zuerst alle Freiheit lässt, mit seinen Texten Dinge auszuprobieren. Wo andere zuerst eine Aufwärmphase brauchten, haben wir gleich einen direkten Draht und Spass daran, miteinander zu proben.

«Verrückt nach Trost» ist keine Romanbearbeitung von Lensing, sondern das erste Stück, das er eigens für dieses Quartett geschrieben hat. Welchen Unterschied macht das für Sie?
Ich glaube, dass Thorsten Lensing unseren Figuren Charakteristiken gegeben hat, die er vielleicht teilweise in uns sieht. Er kann sich gut vorstellen, wie das ist, wenn Ursina Lardi einen Oktopus spielt, und was sie dann sagt. Und er hatte bestimmt einen Riesenspass bei dem Gedanken, dass der Striesow mit André Jung eine Liebesszene spielen wird. (Lacht.)

Worum geht es in dem über dreistündigen Stück?
Es handelt sich um einen grossen, sehr amüsanten Abriss über Leben und Tod. Im ersten Teil spielen die zehn und elf Jahre alten Geschwister Felix und Charlotte am Strand ihre Eltern nach, um die Erinnerung an sie lebendig zu halten und zugleich ihren Tod zu verarbeiten. Nach der Pause werden aus ihnen Erwachsene. Er leidet in seiner Beziehung darunter, dass er seit dem Tod der Eltern weder Berührungen noch körperlichen Schmerz spürt. Zu den Höhepunkten zählt eine Traumsequenz, in welcher der Oktopus auf einem Foto lebendig wird und mit dem Taucher, der es gemacht hat, zu philosophieren beginnt.

Spielen Sie ebenfalls ein Tier?
Nein, ich habe mit meinem Felix schon genug zu tun. Sebastian Blomberg stellt jedoch epochal eine Riesenschildkröte dar und André Jung einen Orang-Utan. Da ist ordentlich was los auf der Bühne. Das sollte man sich nicht entgehen lassen. (Lacht.)

Was verbindet Sie mit der Bündner Schauspielerin Ursina Lardi?
Wir sind die Urgesteine. Wir kennen uns schon von der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin und durch Filme von Angela Schanelec. In «Mein langsames Leben», wo wir ebenfalls ein Geschwisterpaar spielten, hatten wir eine grossartige siebenminütige Tanzszene. Wir haben schon viel miteinander erlebt und lieben uns sehr!

In welchen Situationen merken Sie ihr die Schweizerin noch an?
Wenn sie emotional erregt ist, fällt sie immer in ihre lustige Schweizer Sprache – nur privat, auf der Bühne ist sie dafür zu gut ausgebildet.

Ist in diesem Quartett aus der Zusammenarbeit auch Freundschaft gewachsen?
Nein, das würde ich auf einer rein professionellen Ebene belassen. Wir verstehen uns sehr, sehr gut und freuen uns jedes Mal, wenn wir gemeinsam auf die Bühne gehen können und das Publikum mit uns ein neues Stück entdecken will. Das sind die grossen Geschenke des Theaterlebens, wenn sich die Leute ganz auf uns einlassen und es am Ende teilweise zu Standing Ovations kommt. Nachdem wir uns für die Auftritte zusammengefunden haben, geht jedoch jeder wieder seines Wegs.

Sie treten in Baden am Vorabend der Aufführung noch mit einer Lesung auf. Weshalb haben Sie dafür das Werk Robert Walsers ausgewählt?
Vor 15 Jahren fragte mich Thorsten Lensing für seine Inszenierung von Walsers «Schneewittchen» an. Da ich verhindert war, begannen wir unsere Zusammenarbeit mit dieser Lesung von Textauszügen aus unterschiedlichsten Walser-Werken wie «Jakob von Gunten», «Die Wurst» und «Aus dem Bleistiftgebiet». Das sind wirklich schöne Texte, und wer den Autor noch nicht kennt, ist immer ganz überrascht über seine Welt.

Wussten Sie schon vor Ihrem Gastspiel, dass Hermann Hesse, der Walser ebenfalls sehr geschätzt hat, in Baden mehrfach Kurgast war?
Nein, davon hatte ich keine Ahnung.

Werden Sie Ihren Aufenthalt nutzen, um die neuen Thermen zu besuchen?
Nein, ich bin ein Ostseekind und bevorzuge die offene See. In geschlossenen Thermalbädern bekomme ich immer ein bisschen Platzangst. (Lacht.)

Haben Sie sich nach Ihrem Abschied als «Tatort»-Kommissar Jens Stellbrink ein eigenes Motorrad gekauft, um als Easy Rider die Weite zu suchen?
Genau, aber ich würde auch gern mal in der Schweiz herumkurven. Auf dem Motorrad durch die Täler fahren, links und rechts die Berge, das muss herrlich sein!

Was hat Sie an der Hauptrolle im neuen Kinofilm «Roxy» gereizt?
Ich fand es spannend, in dieser schwarzen Mafiakomödie des georgischen Autorenfilmers Dito Tsintsadze mitzuwirken, in der ein Oligarch von seinesgleichen gejagt wird. Ich spiele in einer internationalen Besetzung mit tollen Kollegen aus Russland und Georgien einen deutschen Taxifahrer mit spitzen Ohren, die immer auf Empfang sind und ihm helfen, sich in einer ihm fremden Welt zurechtzufinden und sich von der passiven grauen Maus zum schlauen Akteur zu entwickeln.

Es heisst, bei den Dreharbeiten wäre viel improvisiert worden. Nehmen Sie das spielerisch leicht, oder stehen Sie dabei völlig unter Strom?
Es kommt auf die Kollegen und die Situation an. Bei «Roxy» haben wir uns Sachen ausgedacht, sind aber auch in Situationen reingeschlittert und haben sie dann passieren lassen. Da ich in der Taxifahrerrolle mehr in der Beobachterposition war, konnte ich dabei etwas zurücklehnen. Das war ein grosser Unterschied zur Impro-Weihnachtskomödie «Fest der Liebe», wo ich mittendrin im Geschehen war und mir unter Zeitdruck die nächsten Spielzüge überlegen musste.

Sie bezeichnen sich als ungeduldigen Menschen. Ist das für Ihre Mitspielenden nicht schwierig?
Nein, wir sind ja alle so! (Schmunzelt.) Schauspieler sind mit einer guten Grundnervosität ausgestattet. Diese Unruhe ist der Motor, der dazu beiträgt, dass man vom einen zum anderen kommt und seine beste Leistung abrufen kann.

Die Titelfigur ist ein Kampfhund. Wie viele Kratzer bekamen Sie bei den Dreharbeiten ab?
Roxy sah zwar gefährlich aus, war aber ganz knuffig. Sonst hätte ich mich gar nicht mit ihm in ein Taxi gesetzt. Das Einzige, was wirklich schwierig war, ist die Sequenz, wo ich ihm in die Augen gucke, was Hunde ja bekanntlich überhaupt nicht mögen. Ich weiss noch genau die Stelle, wo ich sagte, nun müssten wir einen Cut machen, sonst springe er nach vorn.

Ihre Figur macht im Laufe der Geschichte eine grosse Wandlung durch. Wann haben Sie sich im Laufe Ihres Lebens am stärksten verändert?
Nun, wenn man eine Familie gründet, muss man schon bereit sein, seinen Lebensstil zu verändern und andere Prioritäten zu setzen. Dann sind es zunächst mal die Kinder, die dir zeigen, wo es langgeht.

Sie spielen oft introvertierte, eher unscheinbare Figuren …
Mmh …

Oder habe ich einfach nur diese Filme gesehen?
Am Theater spiele ich den Ödipus. In Hamburg am Schauspielhaus. Das ist das pure Gegenteil. Der Ödipus ist wirklich sehr extrovertiert und sehr wütend, blind vor Wut kann man sagen. (Lacht.)

Dann sind Sie mit der Bandbreite der Rollen, die Ihnen angeboten werden, zufrieden?
Sehr zufrieden! Durch die vielen Streaming-Dienste haben sich viele neue Möglichkeiten und ein grossartiges Terrain für ungewöhnliche Charaktere ergeben. Ich habe gerade in «Where’s Wanda», der ersten deutschsprachigen Serie von Apple TV, eine optisch wie inhaltlich aussergewöhnliche Figur gespielt, eine lustige Rolle in einer ungewöhnlichen schwarzen Komödie.

Samstag, 20. Januar, 20 Uhr
Kurtheater, Baden