Jede Karte zählt

Mit selbst gestalteten Karten konnte der Verein Schreibfreude aus Turgi zu Ostern 1600 Glücksmomente bescheren. Nun läuft die Aktion «Sommergruss» an.
Eveline Gasser: «Grosi Hildegard vermachte uns einen grossen Fundus an Materialien. Doch nehmen wir gern weitere Papierspenden entgegen». (BILD: CF)

Alte Spinnerei Turgi, Eingang Mitte, 4. Stock, Raum 2416. Wer beim Anblick von Blei-, Farb- oder Filzstiften, Pinseln, Papieren aller Art, Leim und Schere der Fantasie umgehend freien Lauf lassen möchte, ist hier genau richtig. Es ist das Kreativreich von Eveline Gasser. Sie bietet Kurse in intuitiver Schriftgestaltung an.

«Ich bin eine komplette Quereinsteigerin», verrät die 53-Jährige. Doch «gwüssi Gen», wie ihr Grosi Hildegard zu sagen pflegte, liessen sie ihren Herzensweg einschlagen. Eveline Gasser hat Maurerin und Hochbauzeichnerin gelernt und war jahrzehntelang im familieneigenen Baugeschäft als Bauführerin tätig. Vor zwei Jahren besann sie sich auf ihre – eben vom schreibfreudigen Grosi geerbte – kreative Ader. Seit dann bietet sie selbst oder zusammen mit ihrer 26-jährigen Tochter Jasmin Schreibkurse an. «Auch meine Schwester Karin ist sehr kreativ. Sie reist gern und schickt noch von überall Postkarten», erzählt Eveline Gasser. Und so kam es, dass den beiden Schwestern am 30. November 2022 – exakt zehn Monate nachdem Grosi Hildegard verstorben war – beim Baden in Baden ein Gedankenblitz kam: nämlich an einsame Menschen in Alters- und Pflegeheimen von Hand geschriebene Herzenspost zu senden. Eveline Gasser: «Wir dachten noch, das wird etwas Grosses.» Und so kam es. Noch in der Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember 2022 baute Eveline Gasser die Website schreib-freude.ch.

Geteilte Freude
Schon zu Weihnachten 2022 und darauffolgend zu Ostern 2023 konnten je 800 Karten beziehungsweise Briefe verschenkt werden. An Weihnachten 2023 waren es bereits über 2000 Stück, dann 1600 zu Ostern 2024. «Wir stiessen überall auf offene Türen», sagt Eveline Gasser erfreut. Es war ihre Schwester Karin, die anhand von öffentlichen Verzeichnissen Alters- und Pflegeinstitutionen anrief und sich dort mit der Aktivierungstherapie in Verbindung setzte, vom Vorhaben erzählte und umgehend Begeisterung und grosse Dankbarkeit erntete. «Ob all der Zusagen hörte sie nach zwei Tagen auf zu telefonieren.» Die Idee von Schreibfreude ist einfach:

Auf der einen Seite sind Menschen, die gern kreativ sind und mit dem Geschaffenen jemandem eine Freude bereiten möchten. Auf der anderen Seite sind Menschen, die kaum ein privates Umfeld haben und sich von einer schön gestalteten Karte beschenkt fühlen.

Freiwillig Mitschreibende
Um für Schreibfreude ein Spendenkonto einrichten zu können, wurde mittlerweile der entsprechende Verein gegründet. Noch sind es Eveline Gasser und ihre Schwester Karin Caviezel-Gasser, die, unterstützt von ihrem privaten Umfeld, das Ganze managen: Kontakte, Logistik, Finanzierung, freiwillige Schreiberlinge. Letztere werden laufend gesucht. Seien es Einzelpersonen jeden Alters, Kindergartenkinder oder Schulklassen. «Nach dem quantitativen Wachstum wollen wir vermehrt auf die Qualität achten», betont Eveline Gasser.

Trotzdem geben sie den freiwilligen Gestalterinnen und Gestaltern viel Freiheit beim Entwerfen der Karten oder Briefe: ein Grüezi oder ein Gedicht, eine kleine Geschichte oder Zeichnung. Plus ein schön verziertes Couvert, welches das Schreibgeschenk abrundet. Eveline Gasser: «Wir leiten nach dem Zufallsprinzip alles an die Institutionen weiter.» Wer die Karte mit Absender versehen und allenfalls mit der empfangenden Person in Verbindung treten möchte, kann das, muss aber nicht. Der Herzensgedanke hinter dem Mitmachen zählt. Noch bis zum 1. September läuft die Schreibfreude-Aktion «Sommergruss». Interessierte erreichen Eveline Gasser über die erwähnte Website oder 079 473 53 27. Selbst wenn Raum 2416 im 4. Stock der alten Spinnerei Turgi noch so anregend eingerichtet ist, mitmachen ist von überallher möglich.