Die Spätrückkehrer aus Afrika sind da

Neuntöter gehören zu den Spätrückkehrern unter den Zugvögeln. Von Mai bis August halten sie sich in hiesigen Brutgebieten auf.
Junge Neuntöter kraxeln in Hecken herum, bevor sie flügge werden. (Bilder: bhe)

Zur Osterzeit wurde in dieser Rubrik über die Rückkehr der ersten Frühlingsboten unter den Vögeln, wie etwa Stare und Rauchschwalben, berichtet. Zwischenzeitlich sind die Schwalben am Brüten, und die Stare haben ihre erste Brut bereits beendet. Aber es kommen immer noch einige Arten aus ihren Winterquartieren zurück, wie etwa Sumpfrohrsänger, Pirol und Neuntöter. Sie gehören zu den sogenannten Langstreckenziehern. Deren Überwinterungsgebiete liegen im tropischen und südlichen Afrika. Die späte Rückkehr ist bedingt durch die längeren Zugwege, aber nicht nur. Diese Arten brauchen zum Brüten und aufgrund ihres Nahrungsspektrums meist Bedingungen, die eine frühere Rückkehr gar nicht erlauben.

Langstreckenzieher aus der Familie der Würger
Sowohl der Familienname (Würger) wie der Artname (Neuntöter) tönen eher brutal, aber der Neuntöter – früher nannte man ihn auch Rotrückenwürger – ist ein sehr hübscher Singvogel. Er ist der einzige aus der Würger-Familie, der noch in der Schweiz brütet. Ihren Namen verdanken die Würger einer besonderen Eigenschaft: Unverdaute Nahrungsreste würgen sie in Form von kleinen Gewöllen hoch und speien diese aus. Auf ihrem Speiseplan stehen Fluginsekten, grosse Käfer, Spinnen, Heuschrecken, Eidechsen und Mäuse. Wie alle Würger besitzt der Neuntöter einen Hakenschnabel und wirkt deshalb wie ein kleiner Greifvogel. Beutetiere spiessen sie zuweilen auf Dornenbüsche oder Stacheldraht auf und zerlegen sie dann mit dem Schnabel in mundgerechte Stücke. Die aufgespiessten Beutetiere dienen dem Neuntöter auch als Nahrungsdepot, was ihm fälschlicherweise den Ruf einbrachte, er töte immer zuerst neun Beutetiere, bevor er mit Fressen beginne.

Kinderstube in der Dornenhecke
Die Neuntöter kehren ab Anfang Mai aus den Savannen im südlichen Afrika zurück. Dann beginnt die Phase der Balz, bei der das Männchen singend um das Weibchen wirbt und ihm Brautgeschenke in Form von Insekten übergibt. Gemeinsam baut das Paar ein Nest aus Gräsern und Halmen in einer mit Dornenbüschen durchsetzten Hecke; es kann auch ein einzelner Wildrosenbusch sein. Das Weibchen legt vier bis sechs Eier und bebrütet diese während rund 15 Tagen. Das Männchen versorgt während der Brutzeit das Weibchen mit Nahrung. Nach dem Schlüpfen der Jungen erhalten diese Futter vom Vater. Später beteiligt sich die Mutter ebenfalls an der Nahrungssuche. Beide Eltern jagen in dieser Phase von früh bis spät nach Insekten, damit die Nestlinge gut gedeihen. Nach ca. 15 Tagen, d.h. zwischen Mitte Juli und Anfang August, verlassen die Jungen das Nest, sind aber noch unselbstständig. Sie können noch nicht richtig fliegen und kraxeln in der Hecke herum. Die Eltern versorgen ihren Nachwuchs weiter mit Futter, doch schon bald unternehmen die Jungvögel die ersten eigenen Jagdversuche.

Nach der Rückkehr ins Brutgebiet präsentiert sich das Neuntöter-Männchen auffällig, um ein Weibchen anzulocken.

Im August löst sich die Familie auf und Alt- wie später die Jungvögel machen sich auf den Weg ins weit entfernte Winterquartier im südlichen Afrika. Erwähnenswert ist, dass der Wegzug der Neuntöter in Mitteleuropa ostwärts über die Adria und den Balkan erfolgt, während der Heimzug im Frühjahr noch weiter östlich über die Arabische Halbinsel und die Türkei (sogenannte Bosporus-Route) zurück in die Brutgebiete führt. Dieses besondere Zugverhalten bezeichnet man als «Schleifenzug».

Förderung und Schutz des Lebensraums
Seit den 1990er-Jahren geht der Bestand der Neuntöter kontinuierlich zurück. Verantwortlich sind wie so oft Lebensraumverluste und der Rückgang an Grossinsekten, seiner bevorzugten Beute. Im Gegensatz zu anderen Vogelarten reagieren Neuntöter jedoch häufig rasch auf die Neugestaltung und Aufwertung von Lebensräumen. Die Förderung und Pflege dornenreicher Hecken, Einzelbüsche und grosser Asthaufen ist eine gute Möglichkeit, um Lebensräume für den Neuntöter zu verbessern oder neu zu schaffen. Schwarz- und Weissdorn sowie Heckenrosen sind für den Neuntöter besonders wertvoll. Sie bieten Ansitzwarten und Versteckmöglichkeiten. Wichtig ist, dass im nahen Umkreis genug grosse Flächen mit Nutzungsformen wie extensive Wiesen und Weiden vorhanden sind, die im Gegensatz zu den meisten intensiv bewirtschafteten und pestizidbelasteten Flächen ausreichend Beuteinsekten beheimaten.

Es ist ein Alarmzeichen, dass sich der Bestand des Neuntöters bei uns in den letzten 30 Jahren halbiert hat. Die Investitionen in Milliardenhöhe in die Landwirtschaft durch den Bund begünstigen grösstenteils eine Produktion, welche weder auf die Biodiversität noch auf Böden und Wasser ausreichend Rücksicht nimmt. Birdlife und andere Naturschutzorganisationen fordern daher mit der Biodiversitäts-Initiative ein Umdenken.

Neuntöter-Weibchen sind bescheidener gefärbt als die Männchen, die Jungvögel sehen ihr ähnlich.