Rätselhafte Einschüsse am Eitenberg

Die Sanierung des Kugelfangs im ehemaligen Mülliger Scheibenstand nimmt unvorhergesehene Ausmasse an. Woher stammen die Einschüsse?
Die Sanierung des Kugelfangs der früheren Schiessanlage Mülligen am Fuss des Eitenberg-Südhangs nimmt wegen verstreuter Munition viel grössere Ausmasse an, als vorgesehen. (Bild: hpw)

Bis Ende der 1980er Jahre besass fast jede Gemeinde in der Schweiz einen Schiessstand. Er musste den militärfähigen Bewohnern für die Erfüllung ihrer Schiesspflicht zur Verfügung stehen. Denn sie hatten den obligatorischen jährlichen Schiesstest am Wohnort zu erfüllen. Als den Schützen jedoch erlaubt wurde, den Ort für das «Obligatorische» selber zu wählen, brauchte es weniger Schiessanlagen. Rund 1500 wurden stillgelegt, 2500 sind noch in Betrieb. Sie müssen jetzt mit emissionsfreien Kugelfangsystemen ausgerüstet werden.

Früher fingen in der Regel Erdwälle in Schiessständen die Geschosse auf. Dabei gelangten grosse Mengen Blei und Antimon in den Boden. Darum gelten ältere Kugelfänge als sanierungsbedürftige Altlasten. Für die Instandstellung sind die Gemeinden verantwortlich. Doch die Kosten gehen ins gute Tuch, weil das belastete Aushubmaterial eine besondere Entsorgung erfordert. Bund und Kanton leisten Beiträge – der Bund allerdings nur noch bis Ende Jahr. Deswegen nahm auch Mülligen kürzlich die Schadensbehebung am Kugelfang seiner früheren Schiessanlage in Angriff – aber mit einer Überraschung.

Verstreute Munitionsspuren
Die Abtragung des Erdreichs beim Scheibenstand am Eitenberg, westlich des Weilers Trotte, nahm unerwartete Ausmasse an. Man ging davon aus, auf wenige, konzentrierte Munitionsnester zu stossen. Der Schiessstand verfügte über acht Scheiben, die von Hand zu bedienen waren, plus zwei Ersatzscheiben, die bei grösseren Anlässen, wie dem Feldschiessen, aufgezogen wurden. Die über viele Jahre verschossenen Millionen von Patronen dürften in der Regel die Scheiben getroffen haben und unmittelbar dahinter im Hang des Eitenbergs steckengeblieben sein.

Doch die mit einem Messgerät georteten Schwermetallrückstände gingen weit über den vermuteten Kugelfangperimeter hinaus. Hangaufwärts und seitwärts, über und neben dem ehemaligen Schiesstand, stiess man auf verstreute Gewehrmunitionspuren, anstatt auf die erwarteten wenigen Geschossnester. Je mehr Bodenfläche abgeschürft wurde, desto zahlreicher traten die Fundstellen zutage. Er habe eine solche Geschossverteilung bei Kugelfangsanierungen noch nie erlebt, bestätigt ein routinierter Baggerführer der Firma Hubschmid aus Nesselnbach. Woher die verstreuten Einschüsse stammen, ist auch alten Schützen wie Peter Zobrist, dem letzten Schützenmeister der Feldschützengesellschaft Mülligen, ein Rätsel.

Mittlerweile wurden laut Projektleiter Fabian Rickenbacher vom Ingenieurbüro Porta, Brugg, bereits 770 Tonnen Erdmaterial abgeführt. Dessen Sortierung verlangt Sorgfalt. Die Ent­sorgung geschieht über drei Kanäle. Gering belastete Erde wird in eine Inertstoffdeponie transportiert. Mittelmässig kontaminiertes Material kommt in eine Reaktordeponie (heute Typ-E-Deponie) für verschmutzten Boden- und Bauaushub. Ist die Schadstoffbelastung jedoch grösser als 500 Milligramm pro Kilo, gelangt der Materialabtrag in die Bodenwaschanlage der Firma Eberhard in Rümlang (die vor einem Jahr auch die Merz-Gruppe Gebenstorf übernahm).

Vermuteter Teilabbruch
Bei den Sanierungsarbeiten stiess man im Kugelfangbereich noch auf jüngere Aufschüttungen, aber nur auf wenige Fragmente des einstigen betonierten Scheibenstandes. Das deutet darauf hin, dass zwischen der Stilllegung der Schiessanlage im Jahr 1990 und dem jetzigen Rückbau bereits ein Teilabbruch erfolgte – etwa um 1993/94. Doch kann sich niemand mehr daran erinnern. Damals wurde vermutlich bereits ein Teil der Schadstoffbelastung hinter den acht Scheiben eliminiert.

Aber wie und durch wen kamen die verstreuten weiteren Einschüsse in den Eitenberg-Südhang? Die Klärung dieser Frage könnte auch für die Kostenverteilung wichtig werden. Denn wegen des grösseren Schadstoff-Perimeters wird der von der Gemeindeversammlung Mülligen bewilligte Bruttokredit von 349 000 Franken nicht ausreichen.

Woher kamen die Einschüsse?
Stammen die über und neben dem einstigen Scheibenstand gefundenen Geschossrückstände alle von Fehlschüssen? Gut, im Laufe des jahrzehntelangen Schiessbetriebes werden sich auch die «Nuller», die neben die Scheiben gingen, summiert haben. Es ist zudem denkbar, dass die Scheiben nicht immer am gleichen Platz standen.

Eine Zeitlang könnte auch von verschiedenen Standorten aus geschossen worden sein. Der erste feste Scheibenstand – ohne Schützenhaus – wurde 1902 am Fusse des Eitenberg-Rebhangs erstellt. Die Anlage befriedigte nicht. 1923 betonierten die Schützen den neuen Zugscheibenstand, und 1926 bauten sie das Schützenhaus auf freiem Feld, an der Ortsverbindungsstrasse Mülligen-Lupfig.

Oder könnten die rätselhaften Einschüsse ausserhalb des Kugelfangbereichs etwa vom Militär stammen, das den Eitenberg-Hang irgendwann vielleicht als Zielgebiet für Gefechtsschiessen nutzte und dazu die bei solchen Übungen üblichen Mannscheiben in den Hang stellte? Auch an solche Manöver entsinnt sich niemand. Bisher wurden ausschliesslich Rückstände von Gewehrpatronen und keine Geschosse anderer Waffen gefunden. Immerhin könnte es der Gemeinde Mülligen recht sein, wenn auch das Militär ins Spiel käme, denn dies ergäbe einen möglichen weiteren Mitträger der Sanierungskosten.

Der Autobahn im Weg
Die 1872 gegründete Feldschützengesellschaft Mülligen nahm 1990 mit einem «Ende-Feuer»-Schiessen von ihrem jahrzehntelang genutzten Schiessstand – den zuletzt auch die Schützen von Birrhard benützten – Abschied. Die Anlage musste der A 3 weichen, die quer durch das Schiessareal führte. Ein Überschiessen wurde nicht bewilligt und eine Überdeckung der Nationalstrasse war zu teuer. Mülligen und Birrhard schlossen sich dem Verband von sieben Gemeinden an, der die Regionalschiessanlage Mülischer bei Wohlenschwil ausbaute und bis heute betreibt. Die Mülliger Feldschützen lösten ihren Verein 2012, nach einer 140-jährigen Existenz, auf.