Die letzten Urfindlinge ihrer Art bedroht

Für den Geoweg fühlten sich weder Kanton noch Gemeinden länger zuständig. Die Zerstörung steinalter Findlinge wirft Fragen auf.
Hauptbild: Von den einst über zwanzig Steinen sind seit Dezember nur noch neun intakt. (Bild: cd)

Wer nach Habsburg kommt, sucht den Geoweg zunächst vergeblich. Nur kümmerlich bis gar nicht ist er ausgeschildert, und auch auf den vorab konsultierten Karten ist der Themenweg, wenn überhaupt, nur spärlich und ungenau markiert. «Als Einstiegsmöglichkeiten bieten sich Schinznach-Bad, Schloss Habsburg oder die Postautohaltestelle im Dorfzentrum Scherz an», heisst es auf der Website. Fragt man die Bevölkerung Habsburgs, wo die Findlinge liegen, erhält man freundliche Beratung und zusätzliche Hinweise – etwa dazu, wo die letzten Stelen zu finden sind. «Unterhalb der Habsburg stehen welche, die noch nicht zerstört sind», gibt eine Dorfbewohnerin an der Bushaltestelle Auskunft.

Geschenk der Eidgenossenschaft
Der elf Kilometer lange Geoweg, ein Rundwanderweg mit 23 Stationen zur Geologie, Ökologie und Geschichte der Region, ermöglicht einen Einblick in die erdgeschichtlichen Vorgänge der letzten 200 Millionen Jahre bis in die Gegenwart. Der Lehrpfad, der mit eine Strecke von sieben Kilometern von Schinznach-Bad nach Habsburg auch als Kurzvariante existiert, zeigt eindrücklich die historische, demografische und ökologische Abhängigkeit vom geologischen Werdegang auf, mit der die heutige Landschaft und ihre Bewohner verbunden sind.

Mit dem Themenweg hat der Kanton Aargau 1991 in Gebieten von Schinznach-Bad, Habsburg und Scherz auf kleinem Raum ein umfangreiches und einzigartiges Gesteinsinventar und einen Wanderweg für Erlebnisgeologie geschaffen. Er war ein Geschenk an die anliegenden Gemeinden anlässlich des 700-jährigen Bestehens der Eidgenossenschaft. Doch für eine Modernisierung des Themenwegs fühlten sich weder der Kanton noch die Gemeinden verantwortlich. Wie die «Aargauer Zeitung» kürzlich berichtete, sah der Verein Aargauer Wanderwege, der zuständig war und den Lehrpfad in den letzten gut dreissig Jahren unterhalten hatte, aufgrund fehlender finanzieller Mittel offenbar nur noch eine Option: den Rückbau des Geowegs. Die Kosten von 10 000 Franken für diesen Schritt hat laut AZ der Kanton übernommen.

Bieten ein Bild der Zerstörung: Die Urgesteine nach dem Teilrückbau. (Bilder: cd)

Die letzten neun Mohikaner
Bei diesem Rückbau wurde der Bestand der durchschnittlich 230 Millionen Jahre alten Findlinge um gut die Hälfte von einstmals über zwanzig auf neun Stück dezimiert. Auch der Themenweg ist bereits halb zerstört, die meisten der Wegweiser und Tafeln wurden entfernt, und die Stelen, die es einst auch in Lupfig und Schinznach gab, stehen heute nur noch in der Gemeinde Habsburg.

Manfred Anliker, auf dessen Land in Habsburg die verbliebenen neun Zeitzeugen aus den letzten 200 Millionen Jahren unserer Erdgeschichte liegen, setzt sich couragiert für deren Erhalt ein. Der Landwirt, der in Scherz wohnt, ist fassungslos über die Zerstörung der Schiefer- und Granitsteine, die, ohne dass man ihn als Landbesitzer informiert hat, im Dezember 2022 begann. «Es tut mir weh, das anzusehen», sagt Anliker. «Man hätte die Steine woanders hin transportieren können, anstatt sie zu zerstören», moniert er das brachiale Vorgehen. Die geschichtsträchtigen Findlinge seien ein Gut, das der Allgemeinheit gehöre und ein einzigartiges geokulturelles Erbe darstelle, ist Anlikers tiefe Überzeugung. Die zerstörten Urgesteine bieten in der Tat einen trostlosen Anblick, wie sie halbzertrümmert im Gras liegen.

Instandhaltung und Renovation
Nachdem Anliker TeleM1 ins Bild gesetzt hatte, kam es schlagartig zu einem Unterbruch der Bauarbeiten, der bis heute anhält. «Für uns geschah der Rückbau des Geowegs völlig überraschend und ist unverständlich», sagt Barbara Iten, Co-Präsidentin Verein Tourismus Region Brugg (VTRB). «Wir wissen nur, dass infolge einer ganzen Reihe unglücklicher Umstände der Teilrückbau des Wegs gestartet wurde», so Iten. Ihrem Verein sei nämlich bereits Ende 2019 von Aargau Tourismus die Frage gestellt worden, ob er die Instandhaltung und Renovation des Geowegs übernehmen wolle. Der VTRB habe zugesagt, mit verschiedenen Beteiligten Kontakt aufgenommen und mit Horst Seger, Geschäftsführer Aargauer Wanderwege, ein langes Gespräch geführt. «Der Lockdown hat aber allen weiteren Gesprächen einen Strich durch die Rechnung gemacht», so Iten.

Horst Seger hielt hingegen im Beitrag von TeleM1 fest, dass die Infrastruktur, also die grösstenteils beschädigten Lehrtafeln und Stelen, komplett hätte erneuert werden müssen. Auf die betroffenen Gemeinden wären damit Kosten im Umfang von etwa 200 000 Franken zugekommen. Lupfig und Brugg sprachen sich daraufhin für einen Abbruch aus, denn der Geoweg stosse kaum noch auf Interesse.

Runder Tisch im Januar
Für Ende Januar lädt der VTRB nun zu einem runden Tisch ein. Eingeladen sind Behördenmitglieder aus Lupfig, Habsburg, Brugg, ehemalige Gemeinderatsvertreter der angrenzenden Gemeinden, sowie Vertreter der Aargauer Wanderwege, des Kanton Aargau, von Aargau Tourismus, ein Kreisingenieur, zwei Grossratsvertreter, ein Geologe aus der Region und eine Person, die sich mit zeitgemässen Themenwegen befasst. Die zentrale Frage sei, ob der Geoweg wieder aufgebaut werden könne, hält Co-Präsidentin Iten fest. «Der Weg hat einen einzigartigen Wert», unterstreicht sie. «Für den Verein Tourismus Region Brugg steht ausser Frage, dass der Geoweg, in welcher Form auch immer, wieder erstellt werden muss.» Nun müssen die Kosten ermittelt, mögliche Geldgeber gefunden, Zuständigkeiten definiert und ein Marketingkonzept erarbeitet werden. Ob die begonnene Zerstörung der stillen Zeitzeugen wirklich die einzige Lösung darstellt und ob das Vorgehen rechtens ist, darüber werden die kommenden Wochen Aufschluss geben.